Entwicklung bei den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung

Entwicklung bei den Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung

Dieser Bericht schließt an die Ausführungen von Schneider NJW 2022, 2161 an und gibt einen Überblick über die Literatur und Rechtsprechung zur Rechtsschutzversicherung bis Frühjahr 2023. Inzwischen betrifft die deutliche Mehrheit der veröffentlichten Entscheidungen die Erfolgsaussichten betreffend den sogenannten Dieselskandal. Höchstrichterlich liegt eine interessante Entscheidung des BGH zur Abgrenzung des Schadensersatz- vom Vertrags-Rechtsschutz vor. Von Bedeutung sind zwei weitere Entscheidungen des BGH zur Prozessstandschaft des Schadenabwicklungsunternehmens bei aktiver Rechtsverfolgung sowie zum Schadensersatzanspruch wegen aussichtsloser Rechtsverfolgung nach Deckungserteilung.

I. Literatur

1Die Zahl veröffentlichter Beiträge zur Rechtsschutzversicherung ist überschaubar und im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in etwa gleichgeblieben.

2Armbrüster1 thematisiert die Deckungsabfindung in der Rechtsschutzversicherung. Horacek/Holl2 gehen den beiden Fragen nach, inwieweit eine (Warte-)Obliegenheit des Versicherungsnehmers im Rahmen des § 82 VVG vorliegt und wie sich eine Deckungsablehnung des Rechtsschutzversicherers auf mögliche Obliegenheiten auswirkt; ferner fragen sie in einem weiteren Aufsatz,3 ob und wie Massenschadensfälle das Regulierungsverhalten der Rechtsschutzversicherer beeinflussen. Thole4 befasst sich mit dem Regress des Rechtsschutzversicherers gegen den Rechtsanwalt. Lensing5 weist auf Änderungen und Trends im Vergleich der Verbandsempfehlungen der ARB 2012, 2019 und 2021 hin. Kilian betrachtet in zwei Aufsätzen das Verhältnis der Anwaltschaft zu Rechtsschutzversicherern, zum einen bezogen auf die Praxis von Abrechnungsvereinbarungen,6 zum anderen generell im Hinblick auf die Erfahrungen der Anwaltschaft mit rechtsschutzversicherten Mandaten.7 Maier8 widmet sich dem Rechtsschutzanspruch von Anlegern bei einer misslungenen Kapitalanlage am Beispiel des Containerkaufs. Schulz9 beschäftigt sich mit dem rechtsschutzversicherten Mandat im Arbeitsrecht.

II. Leistungsarten: Schadensersatz-Rechtsschutz

3Der BGH10 hat sich mit der Reichweite der Leistungsart des Schadensersatz-Rechtsschutzes gem. § 2 a ARB befasst. Geltend gemacht wurde Schadensersatz aus einer Prospekthaftung im Wege des Direktanspruchs gegen den Vermögensschaden-Haftpflichtversicherer gem. § 115 I 1 Nr. 2 VVG aufgrund einer Insolvenz des Anspruchsgegners. Der BGH stellt zunächst fest, dass dieser Anspruch ohne Weiteres unter den Begriff des Schadensersatzes iSd § 2 a ARB falle. Zudem beruhe der Schadensersatzanspruch nicht (auch) auf einer Vertragsverletzung, so dass auch keine Verlagerung auf die Leistungsart des Vertrags-Rechtsschutzes gem. § 2 d ARB stattfinde. Der Begriff der „Vertragsverletzung“ verweise den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht auf den Bereich der Rechtssprache, so dass es bei der Auslegung auf den allgemeinen Sprachgebrauch ankomme. Demgemäß werde der Versicherungsnehmer unter einem „Vertrag“ eine rechtlich gültige Vereinbarung zweier oder mehrerer Partner verstehen, in der die gegenseitigen Rechte und Pflichten festgelegt sind, während er als „Verletzung“ das Nichtbeachten entsprechender Pflichten ansehen werde. Jedenfalls die im entschiedenen Fall der Prospekthaftung streitgegenständliche Pflichtverletzung in der Vorstufe der Anbahnung des späteren Vertragsverhältnisses durch einen vom späteren Vertragspartner abweichenden Anspruchsgegner verstehe der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht als Vertragsverletzung. Im entschiedenen Fall war ein anderes Unternehmen (nämlich eine Rechtsanwaltsgesellschaft) als der spätere Vertragspartner für den Inhalt der Unterlagen verantwortlich.

III. Risikoausschlüsse

1. Ausschluss für Bergbauschäden

4Das OLG Oldenburg11 führt aus, dass der Risikoausschluss für Bergbauschäden in § 3 I c ARB auch Schäden umfasse, die infolge des Abbaus von Torf entstanden sein sollen. Das ergebe sich daraus, dass der Begriff „Bergbau“ nach allgemeinem Sprachverständnis allgemein die industrielle Gewinnung nutzbarer Bodenschätze beschreibe, während eine Differenzierung nach der Art des zu bergenden Bodenschatzes bzw. dessen Auffindeort im Wortlaut nicht angelegt sei. Folglich sei auch die Gewinnung von Torf in der norddeutschen Tiefebene vom Ausschluss umfasst.

2. Ausschluss für selbstständige Tätigkeit

5Das OLG Oldenburg12 thematisiert den Risikoausschluss der selbstständigen Tätigkeit und stellt insoweit fest, dass lediglich die Tätigkeit eines Gewerbetreibenden oder freiberuflich Tätigen unter den Ausschluss falle. Demgegenüber gehöre die Verwaltung eigenen, wenn auch beträchtlichen Vermögens grundsätzlich zum privaten Bereich. Eine berufsmäßig betriebene Vermögensverwaltung liege erst dann vor, wenn der Umfang der Vermögensverwaltung einen planmäßigen Geschäftsbetrieb erfordere.

6Ein Fall privater Vermögensverwaltung lag auch einer Entscheidung des LG Osnabrück13 zugrunde. Das Gericht sah den Ausschluss der selbstständigen Tätigkeit ebenfalls als nicht gegeben an, weil es sich lediglich um eine private Vermögensanlage gehandelt habe, die keinen planmäßigen Geschäftsbetrieb erforderte.

IV. Rechtsschutzfall

7Das LG Wiesbaden14 beschäftigt sich mit dem Zeitpunkt des Versicherungsfalls im Fall von Beitragserhöhungen der privaten Krankenversicherung. Es stellt insoweit fest, dass jede einzelne Beitragserhöhung einen gesonderten Versicherungsfall darstellt. Demgegenüber sei nicht der Zeitpunkt des (ursprünglichen) Vertragsabschlusses entscheidend, weil zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen sei, ob und inwieweit es überhaupt zu (späteren) Beitragserhöhungen kommt.

V. Erfolgsaussichten/Mutwilligkeit/Stichentscheid

1. „Dieselskandal“

8Eine Vielzahl von Entscheidungen beschäftigt sich wiederum mit der Deckungspflicht entsprechender Schadensersatzklagen aufgrund des sogenannten Dieselskandals. Dabei fällt auf, dass die einzelnen Gerichte tendenziell entweder regelmäßig hinreichende Erfolgsaussichten bejahen oder regelmäßig entsprechende Deckungsklagen abweisen, so dass von generell unterschiedlich strengen Anforderungen der jeweiligen Gerichte auszugehen ist.

9Entsprechende Deckungsansprüche bejaht haben das AG Mannheim,15 OLG Hamm,16 LG Heilbronn,17 AG Berlin-Kreuzberg,18 LG Düsseldorf,19 LG Berlin,20 OLG Stuttgart,21 LG Krefeld,22 LG Bayreuth,23 AG Meinerzhagen,24 AG Stuttgart,25 LG Konstanz,26 LG Nürnberg-,27 LG Mühlhausen,28 LG Heidelberg,29 LG Rottweil,30 AG Singen31 und das LG Krefeld.32

10Das OLG Stuttgart hat in einer der genannten Entscheidungen33 noch einmal darauf hingewiesen, dass ein Stichentscheid so lange bindend ist, als ihm eine vertretbare Rechtsauffassung zu einer höchstrichterlich noch nicht geklärten Frage zugrunde gelegt wird. Die hinreichende Erfolgsaussicht sei weder davon abhängig, dass die Funktion der Motorsteuerung dargelegt wird, noch von der Frage, ob das Fahrzeug von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt betroffen sei. Ein Beweismittel sei vom Versicherungsnehmer nicht zu benennen; insofern reiche es aus, auf ein einzuholendes Sachverständigengutachten Bezug zu nehmen.

11In einer weiteren Entscheidung stellt das OLG Stuttgart34 klar, dass bei der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht auf den Zeitpunkt der sogenannten Bewilligungsreife abzustellen und keine überhöhten Anforderungen zu stellen seien. Auch das LG Krefeld35 stellt in der bereits zitierten Entscheidung auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife ab und folgert daraus, dass ein späterer Wegfall der Erfolgsaussichten nach dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife aufgrund höchstrichterlicher Klärung nicht mehr zu berücksichtigen sei.

12Verneint haben das OLG Nürnberg,36 das OLG Frankfurt a. M.,37 das OLG Bremen,38 das OLG Schleswig,39 das LG Bielefeld,40, das LG Kleve,41 das LG Weiden,42 das LG Lübeck,43 das LG Düsseldorf44 sowie das AG Einbeck45 einen Deckungsanspruch mangels hinreichender Erfolgsaussichten, weil beim Vorliegen eines sogenannten Thermofensters keine weiteren Umstände einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung dargelegt waren. Den Stichentscheid sah das OLG Nürnberg in der zitierten Entscheidung46 nicht als bindend an, weil er sich mit der vorgenannten Problematik nicht hinreichend auseinandergesetzt habe.

13Das LG Nürnberg-Fürth47 wies eine Deckungsklage unter Verweis darauf ab, dass dann, wenn der Versicherungsnehmer trotz entsprechenden Hinweises des Rechtsschutzversicherers die Möglichkeit eines Stichentscheids nicht wahrnehme, es dem Rechtsschutzversicherer aus Rechtsgründen nicht verwehrt sei, sich zur Begründung fehlender Erfolgsaussichten auf weitere Ablehnungsgründe als die bereits in der Deckungsablehnung genannten zu berufen. In der Sache erfolgte die Klagabweisung, weil allein der Versicherungsnehmer Schadensersatzansprüche geltend gemacht habe, obwohl er das Fahrzeug gemeinsam mit seiner Ehefrau gekauft habe und zudem die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Schädigung nicht schlüssig vorgetragen seien.

14In einer Entscheidung des LG Magdeburg48 wird eine außergerichtliche Rechtsverfolgung als mutwillig angesehen, weil die Fahrzeughersteller einem Schadensersatzbegehren außergerichtlich niemals nachkämen. Auch hinsichtlich des gerichtlichen Verfahrens wurde die Klage auf Deckungserteilung mangels Erfolgsaussichten abgewiesen, weil kein hinreichender Vortrag zu den besonderen Umständen der Sittenwidrigkeit erfolgt sei.

15Gleichermaßen gehen das OLG Schleswig,49 das LG Heidelberg50 und das LG Lübeck51 in den bereits zitierten Entscheidungen davon aus, dass in der Beauftragung eines Rechtsanwalts für die (lediglich) außergerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen einen Fahrzeughersteller keine zweckentsprechende Rechtsverfolgung liege. Es sei kein Fall bekannt, in dem ein Hersteller einem entsprechenden Begehren außergerichtlich nachgekommen sei. Der Unterschied zur Entscheidung des LG Magdeburg liegt lediglich darin, dass die Deckungsablehnung nicht mit Mutwilligkeit, sondern mit der fehlenden Erforderlichkeit der Interessenwahrnehmung begründet wurde.

2. Sonstige Fälle

16Das LG Berlin52 hat einer Deckungsklage hinsichtlich eines Berufungsverfahrens eines Darlehenswiderrufsfalls stattgegeben. Insoweit sah das Gericht hinreichende Erfolgsaussichten wegen europarechtlicher Bedenken gegen den Ausschluss eines Widerrufsrechts aus nationalen Erwägungen nach § 242 BGB.

17Einen Deckungsanspruch für die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens in einer Arzthaftungsangelegenheit hat das LG München I53 bejaht. Es bestünden hinreichende Erfolgsaussichten, während eine Mutwilligkeit oder ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht festzustellen seien.

18Das AG Köln54 ging von einem Deckungsanspruch aufgrund einer „fiktiven“ Deckungszusage aus, weil der Rechtsschutzversicherer sich nicht unverzüglich auf fehlende Erfolgsaussichten berufen habe. Dabei geht das Gericht von einer angemessenen Bearbeitungszeit von zwei bis drei Wochen nach vollständiger Informationserteilung aus. Ebenso nehmen das LG Nürnberg-Fürth, das LG Rottweil und das AG Singen in den bereits zitierten Entscheidungen55 an, dass eine Berufung auf fehlende Erfolgsaussichten innerhalb von zwei bis drei Wochen nach genügender Klärung des Sachverhalts zu erfolgen habe.

19Auch eine Entscheidung des LG Itzehoe56 bestätigt noch einmal, dass sich ein Rechtsschutzversicherer, welcher bei der Deckungsablehnung nicht auf das Schiedsgutachterverfahren bzw. die Kostentragungspflicht des Rechtsschutzversicherers hingewiesen hat, sich im nachfolgenden Deckungsprozess nicht auf fehlende Erfolgsaussichten berufen kann. Trotz späterer ordnungsgemäßer Belehrung bleibe es bei der Deckungsfiktion des § 128 III VVG.

20Ebenso bekräftigt das LG Düsseldorf57 die Erforderlichkeit einer Belehrung auch über die Kostenfrage bei Hinweis auf das Schiedsgutachter- bzw. Stichentscheidsverfahren in der Deckungsablehnung.

21Das LG Mühlhausen konkretisiert in einer Entscheidung58 die Anforderungen an die Belehrung des Versicherungsnehmers über das Stichentscheids-/Schiedsverfahren dahingehend, dass diese für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer hinreichend klar sein müsse. Ein abstrakter Hinweis auf AGB-Klauseln genüge insoweit nicht. Eine Einschränkung ergebe sich auch nicht daraus, dass der Versicherungsnehmer durch einen Rechtsanwalt vertreten sei.

22Mit einer in individuellen ARB vorgesehenen Monatsfrist für das Verlangen des Versicherungsnehmers zur Durchführung eines Schiedsverfahrens befasst sich eine weitere Entscheidung des LG Mühlhausen.59 Es führt zunächst aus, dass der Rechtsschutzversicherer seiner Hinweispflicht nicht genüge, wenn er nicht auf die vorgesehene Monatsfrist hinweist. Allerdings hielt das Gericht die Vereinbarung der Monatsfrist für intransparent und damit unwirksam, weil nicht hinreichend klar auf die Rechtsfolgen bei Versäumung der Frist hingewiesen wurde.

23Eine einzuhaltende Monatsfrist zur Einleitung eines Schiedsgutachterverfahrens in individuellen ARB liegt ebenso einer Entscheidung des OLG Celle60 zugrunde. Auch das OLG Celle ging von einer Unwirksamkeit der Monatsfrist wegen Intransparenz aus. Dabei sah es das Problem nicht darin, dem Versicherungsnehmer eine Ausschlussfrist von einem Monat zu setzen. Vielmehr sei bei der Formulierung der Klausel gerade nicht erkennbar, ob es sich um eine Ausschlussfrist handele, da die Rechtsfolgen der Fristversäumung nicht klar geregelt seien.

VI. Forderungsübergang/Ansprüche aus übergegangenem Recht

1. Aktivlegitimation des Schadenabwicklungsunternehmens

24Der BGH61 hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob sich aus § 126 II 1 VVG eine aktive gesetzliche Prozessstandschaft des Schadenabwicklungsunternehmens eines Rechtsschutzversicherers für den Anspruch auf Auskehr der Auslagen besteht, die einem im Strafverfahren freigesprochenen Versicherten durch die Staatskasse erstattet wurden. Er stellt zunächst fest, dass Sinn und Zweck der Regelung des § 126 II 1 VVG in der Vermeidung von Interessenkollisionen bei einem Kompositversicherer liege, der zusammen mit der Rechtsschutzversicherung noch andere Versicherungssparten betreibt. Diese Gefahr einer Interessenkollision könne insbesondere in den Fällen bestehen, in denen der Rechtsschutzversicherer eines Geschädigten zugleich Haftpflichtversicherer des Gegners sei, wenn Rechtsschutz gegen den Haftpflichtversicherer erforderlich wird. In diesem Fall könnten Informationen, die dem Rechtsschutzversicherer erteilt werden, gleichzeitig dem Haftpflichtversicherer zur Kenntnis gelangen. In der Gesetzesbegründung werde lediglich auf Ansprüche gegen den Rechtsschutzversicherer bzw. das Schadenabwicklungsunternehmen Bezug genommen, ohne jedoch Aktivprozesse zu erwähnen. Ein vergleichbares generelles Risiko von Interessenkollisionen bei Aktivprozessen sieht der BGH nicht und lehnt deshalb auch eine analoge Anwendung des § 126 II 1 VVG ab. Der Rechtsschutzversicherer könne jedoch aufsichtsrechtlich gem. § 164 IV 2 VAG verpflichtet sein, die Geltendmachung von Ansprüchen dem Schadenabwicklungsunternehmen im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft, der Stellvertretung oder der Abtretung zu überlassen, soweit er hierfür im konkreten Einzelfall Informationen benötige, deren Erlangung zu Interessenkollisionen führen kann. Gleichermaßen könne der Rechtsschutzversicherer zur Vermeidung einer Einzelfallprüfung das Schadenabwicklungsunternehmen – etwa im Funktionsausgliederungsvertrag – umfassend ermächtigen und hierdurch die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozessstandschaft schaffen.

2. Übergegangene Schadensersatzansprüche wegen aussichtsloser Rechtsverfolgung

25Der IX. Senat des BGH62 beschäftigt sich grundlegend mit den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen aussichtsloser Rechtsverfolgung nach Deckungserteilung. Er stellt zunächst fest, dass trotz Erteilung einer Deckungszusage auch dem Versicherungsnehmer selbst – normativ betrachtet – ein Schaden in Form der Rechtsverfolgungskosten entstehe, welcher gem. § 86 I 1 VVG auf den Rechtsschutzversicherer übergehen könne. Daran ändere die Deckungserteilung durch den Rechtsschutzversicherer und dessen darauf beruhende Freistellungspflicht nichts. Dies gelte auch dann, wenn der Mandant lediglich einen Auftrag unter der Bedingung einer Deckungszusage erteilt habe. Die Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs aus übergegangenem Recht durch den Rechtsschutzversicherer verstoße auch nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), weil der Rechtsschutzversicherer vor der Deckungserteilung die Deckungsanfrage geprüft und die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung selbst hätte erkennen können.63 Schließlich stellt der BGH klar, dass es eine mandatsbezogene Pflicht, einen von Anfang an aussichtslosen Rechtsstreit nicht zu führen, als solche nicht gebe. Maßgeblich sei vielmehr, ob der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur Beratung des Mandanten über die Erfolgsaussichten genügt habe. Hierfür sei es ohne Bedeutung, ob der Mandant eine Rechtsschutzversicherung unterhält oder nicht. Werde die Beratungspflicht durch den Rechtsanwalt verletzt, komme es darauf an, wie sich der Mandant im Fall pflichtgemäßer Unterweisung verhalten hätte. Erst bei dieser Frage könne das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung von Bedeutung sein, nämlich dergestalt, dass das Risiko des Mandanten, im Fall einer Niederlage die Kosten des Rechtsstreits tragen zu müssen, durch einen Deckungsanspruch aus der Rechtsschutzversicherung herabgemindert war. Die Wirkung dieses Kostenschutzes auf die Frage des Eingreifens eines Anscheinsbeweises fänden jedoch ihre Grenze, wenn die Rechtsverfolgung des Mandanten objektiv aussichtslos war.

26In einer weiteren Entscheidung des BGH64 geht es um die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage, die ein vom Rechtsschutzversicherer wegen Schadensersatz aus übergegangenem Recht in Anspruch genommener Anwalt im Wege der isolierten Drittwiderklage gegen den Versicherungsnehmer erhoben hatte. Der BGH stellt zunächst fest, dass § 33 ZPO einer isolierten Drittwiderklage nicht entgegenstehe. Zwar sei grundsätzlich eine isolierte (dh allein gegen einen Dritten und nicht zugleich gegen den ursprünglichen Kläger gerichtete) Drittwiderklage unzulässig. Allerdings seien unter Berücksichtigung des prozessökonomischen Zwecks der Widerklage Ausnahmen anerkannt, so bei der isolierten Drittwiderklage gegen den Zedenten der Klageforderung. Maßgeblich für die Zulässigkeit sei in diesem Fall eine enge Verknüpfung der Streitgegenstände von Klage und Drittwiderklage in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und eine fehlende Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen des Drittwiderbeklagten.

27Die Ausnahme, so der BGH, sei grundsätzlich auch für den Fall des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 86 VVG anzuerkennen. Die vorgenannten Voraussetzungen lägen vor. Grundsätzlich habe der Anwalt ein Interesse daran, im Prozess bereits eine Rechtskrafterstreckung auf den Versicherungsnehmer zu erreichen, da für ihn das Vorliegen der Voraussetzungen des gesetzlichen Forderungsübergangs nicht abschließend beurteilbar sei. Nur so könne er sicher sein, nicht in einem weiteren Prozess vom Versicherungsnehmer in Anspruch genommen zu werden, der sich darauf stützt, es läge kein gesetzlicher Forderungsübergang vor. Sodann thematisiert der BGH das Vorliegen eines Feststellungsinteresses des Anwalts gegen den Versicherungsnehmer. Insoweit verlange eine negative Feststellungsklage grundsätzlich, dass der in Anspruch Genommene sich eines Anspruchs „berühmt“ habe. Daher komme es im Ergebnis für die Zulässigkeit der isolierten Drittwiderklage darauf an, ob der Versicherungsnehmer vorprozessual Ansprüche gegen den Anwalt behauptet habe. Gegen die Annahme eines Feststellungsinteresses spreche es hierbei, wenn der Versicherungsnehmer zu keinem Zeitpunkt behauptet habe, vom Anwalt fehlerhaft beraten worden zu sein oder sonst über Ansprüche gegen ihn zu verfügen. Aufgrund einer Zurückweisung an das Berufungsgericht zur Klärung der vorgenannten Umstände blieb die Zulässigkeit im entschiedenen Fall letztlich offen.

28Das OLG Zweibrücken65 beschäftigt sich mit einem Regressanspruch des Rechtsschutzversicherers gegen den Anwalt in einem Darlehenswiderrufsfall. Das Gericht hat einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Beratungspflicht bezogen auf ein Berufungsverfahren bejaht. Denn zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung sei bereits höchstrichterlich geklärt gewesen, dass die Widerrufsbelehrung wirksam sei und damit ein Darlehenswiderruf ausschied.

29Auch dem OLG Hamm66 lag ein Regressanspruch des Rechtsschutzversicherers gegen den Anwalt in einem Darlehenswiderrufsfall vor. Das OLG Hamm verneinte zwar eine Beratungspflichtverletzung des Rechtsanwalts, weil die von ihm vertretene Auffassung nicht von vornherein unvertretbar erschien. Es sah jedoch eine Pflichtverletzung des Anwalts darin, dass dieser statt einer vollständigen Leistungsklage zu einem wesentlichen Teil nur eine Feststellungsklage erhoben hatte, was für die Versicherungsnehmer nachteilig gewesen sei. Es sei zumutbar gewesen, vorab den zurück zu zahlenden Betrag zu ermitteln, um sogleich eine umfassende Leistungsklage zu erheben.

30Dem LG Gera67 lag die Klage eines Rechtsschutzversicherers gegen eine Anwaltskanzlei vor, bei welcher der Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung erhoben wurde, weil die Anwaltskanzlei ein „Geschäftsmodell“ mit der massenweisen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen im Zusammenhang mit einem Kapitalanlagemodell verfolgte. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass die Anwälte allein aus eigener Gewinnerzielungsabsicht ohne Rücksicht auf die jeweiligen Mandanten gehandelt hätten. Es stellt fest, dass die „massenweise“ Anwerbung entsprechender Mandate und entsprechende Rechtsverfolgung nicht bereits grundsätzlich als sittenwidrig einzustufen sei.

31Einen Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt abgelehnt hat das LG Bremen.68 In der dortigen Klage wegen einer anwaltlichen Beratungspflichtverletzung betreffend eine Kapitalanlage ging es um die Einreichung eines Güterantrags und die Frage, ob dieser die Verjährung wirksam hemmen konnte oder als rechtsmissbräuchlich einzustufen war. Das Gericht sah es jedenfalls im Ergebnis nicht als aussichtslos an, von einer Verjährungshemmung auszugehen.


1 Armbrüster VersR 2022, 1197.

2 Horacek/Holl VuR 2022, 416.

3 Horacek/Holl Rethinking Law 2/2023, 20.

4 Thole AnwBl 2022, 280.

5 Lensing AnwBl 2022, 227.

6 Kilian AnwBl 2023, 294.

7 Kilian AnwBl 2023, 232.

8 Maier r+s 2023, 241.

9 Schulz AnwBl 2023, 35.

10 BGH NJW 2023, 1510.

11 OLG Oldenburg VersR 2023, 634 = BeckRS 2021, 61486.

12 OLG Oldenburg 24.11.2022 – 1 U 146/22, BeckRS 2022, 40810.

13 LG Osnabrück 11.8.2022 – 12 O 879/22, BeckRS 2022, 46144.

14 LG Wiesbaden 17.3.2023 – 7 O 123/22, BeckRS 2023, 5296.

15 AG Mannheim 5.5.2023 – 14 C 1912/22, BeckRS 2023, 9370.

16 OLG Hamm 5.5.2023 – 20 U 144/22, BeckRS 2023, 11113.

17 LG Heilbronn 26.4.2023 – III 4 O 223/22, BeckRS 2023, 8997.

18 AG Berlin-Kreuzberg 10.3.2023 – 14 C 337/22, BeckRS 2023, 4228.

19 LG Düsseldorf 30.3.2022 – 9 O 300/21; 16.12.2022 – 9a O 124/22, BeckRS 2022, 47035; 22.12.2022 – 9 O 42/22, BeckRS 2022, 41665 sowie 24.2.2023 – 9a O 122/22, BeckRS 2023, 9366.

20 LG Berlin 23.2.2023 – 24 O 317/21, BeckRS 2023, 9369.

21 OLG Stuttgart 7.7.2022 – 7 U 32/22; 28.7.2022 – 7 U 141/22, BeckRS 2022, 46918; 8.9.2022 – 7 U 248/22, BeckRS 2022, 46925; 22.9.2022 – 7 U 22/22, BeckRS 2022, 45758; 24.11.2022 – 7 U 485/21; 2.2.2023 – 7 U 186/22, BeckRS 2023, 4316; 16.2.2023 – 7 U 381/22, BeckRS 2023, 11290.

22 LG Krefeld 2.2.2023 – 2 O 48/22, BeckRS 2023, 4324.

23 LG Bayreuth 1.2.2023 – 12 S 32/22, BeckRS 2023, 1114.

24 AG Meinerzhagen 16.1.2023 – 4 C 34/22, BeckRS 2023, 336.

25 AG Stuttgart 14.12.2022 – 4 C 2012/22, BeckRS 2022, 37733.

26 LG Konstanz 8.12.2022 – B 10 O 25/22, BeckRS 2022, 36619.

27 LG Nürnberg-Fürth 8.12.2022 – 2 O 925/22, BeckRS 2022, 36622.

28 LG Mühlhausen 18.11.2022 – 6 O 234/22, BeckRS 2022, 35359.

29 LG Heidelberg 20.9.2022 – 2 O 200/21, BeckRS 2022, 27085.

30 LG Rottweil 5.9.2022 – 3 O 123/22, BeckRS 2022, 32336.

31 AG Singen 29.6.2022 – 11 C 20/22, BeckRS 2022, 20778.

32 LG Krefeld 23.3.2022 – 2 O 221/21, BeckRS 2022, 14493.

33 OLG Stuttgart 16.2.2023 – 7 U 381/22, BeckRS 2023, 11290.

34 OLG Stuttgart 2.2.2023 – 7 U 186/22, BeckRS 2023, 4316.

35 LG Krefeld 23.3.2022 – 2 O 221/21, BeckRS 2022, 14493.

36 OLG Nürnberg 16.3.2023 – 8 U 3296/22, BeckRS 2023, 4288.

37 OLG Frankfurt a. M. VersR 2023, 442; OLG Frankfurt a. M. 21.9.2022 – 7 U 52/22 BeckRS 2022, 48597.

38 OLG Bremen 20.9.2022 – 3 U 13/22, BeckRS 2022, 36434.

39 OLG Schleswig 12.5.2022 – 16 U 53/22, BeckRS 2022, 14549 und 21.6.2022 – 16 U 53/22, BeckRS 2022, 14543.

40 LG Bielefeld 21.9.2022 – 21 O 14/22.

41 LG Kleve 29.9.2022 – 6 O 80/21.

42 LG Weiden 22.8.2022 – 21 O 146/22, BeckRS 2022, 32169.

43 LG Lübeck 17.8.2022 – 4 O 385/21.

44 LG Düsseldorf 24.6.2022 – 9a O 343/21.

45 AG Einbeck 8.4.2022 – 2 C 183.21, BeckRS 2022, 31843.

46 OLG Nürnberg 16.3.2023 – 8 U 3296/22, BeckRS 2023, 4288.

47 LG Nürnberg-Fürth 22.12.2022 – 2 O 7982/21, BeckRS 2022, 37662.

48 LG Magdeburg 7.10.2022 – 11 O 1338/21, BeckRS 2022, 33333.

49 OLG Schleswig 12.5.2022 – 16 U 53/22, BeckRS 2022, 14549 und NJW-RR 2022, 1118.

50 LG Heidelberg 20.9.2022 – 2 O 200/21, BeckRS 2022, 27085.

51 LG Lübeck 17.8.2022 – 4 O 385/21.

52 LG Berlin 22.9.2022 – 23 O 132/21, BeckRS 2022, 33025.

53 LG München I NJW-RR 2023, 474.

54 AG Köln 24.3.2023 – 135 C 168/22, BeckRS 2023, 9903.

55 LG Nürnberg-Fürth 8.12.2022 – 2 O 925/22, BeckRS 2022, 36622; LG Rottweil 5.9.2022 – 3 O 123/22, BeckRS 2022, 32336; AG Singen 29.6.2022 – 11 C 20/22, BeckRS 2022, 20778.

56 LG Itzehoe 14.10.2022 – 3 O 14/22, BeckRS 2022, 33027.

57 LG Düsseldorf 25.8.2022 – 9 O 33/22, BeckRS 2022, 33450.

58 LG Mühlhausen 18.11.2022 – 6 O 234/22, BeckRS 2022, 35359.

59 LG Mühlhausen 20.12.2022 – 6 O 202/22, BeckRS 2022, 37732.

60 OLG Celle r+s 2022, 678.

61 BGH NJW-RR 2023, 177.

62 BGH NJW 2023, 449.

63 BGH NJW 2023, 449 unter Bezugnahme auf BGH NJW 2021, 3324 Rn. 23 mwN.

64 BGH NJW-RR 2022, 781.

65 OLG Zweibrücken r+s 2023, 354.

66 OLG Hamm 26.7.2022 – 28 U 132/21, BeckRS 2022, 48600.

67 LG Gera 17.2.2023 – 6 O 1175/20 (2), BeckRS 2023, 3827.

68 LG Bremen 21.12.2022 – 4 O 1810/21, BeckRS 2022, 47766.

Quelle: Rechtsanwalt und Notar Dr. Klaus Schneider: Der Autor ist Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Verkehrsrecht in Langenhagen.