24 Jul Der Versicherungsfall im Vertragsrechtsschutz
Ob und wann der Versicherungsfall eingetreten ist, bestimmt in der Rechtsschutzversicherung häufig, ob Versicherungsschutz besteht oder nicht. Damit handelt es sich um die praktisch bedeutsamste, aber auch rechtlich anspruchvollste Frage im Bereich der Rechtsschutzversicherung. Der Beitrag gibt – unterlegt mit Fallbeispielen aus der Rechtsprechung – einen systematischen Überblick über die Strukturmerkmale des Rechtsschutzfalls und geht auch auf eine sehr wichtige Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein.
I. Einführung
In der Rechtsschutzversicherung nimmt das Thema Versicherungsfall in der Praxisbedeutung – also bei der Frage, ob Versicherungsschutz besteht oder nicht – noch vor den Ausschlussklauseln den wichtigsten Platz ein. Zugleich handelt es sich dabei sicher um das rechtlich anspruchsvollste Thema dieser Versicherungsart, wobei der Versicherungsfall im Vertragsrechtsschutz – gemeint sind übergreifend der Arbeits-, Wohnungs- und Grundstücks- sowie der allgemeine Vertragsrechtsschutz gem. § 2 lit. b, c und d ARB 2000 – besonders häufig Gegenstand von Deckungsklagen ist. In diesem Beitrag sollen Strukturmerkmale des Rechtsschutzfalls1 herausgearbeitet werden, damit eine inhaltliche und zeitliche Bestimmung des Versicherungsfalls unschwer möglich wird. Auf dieser Grundlage können neue Bedingungswerke und Rechtsprechung besser analysiert und wesentliche Veränderungen von unwesentlichen unterschieden werden.
Die Darstellung erfolgt auf Basis der ARB 2008, also der Musterbedingungen bzw. Empfehlungen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)2; auf Änderungen in den ARB 20123 wird ebenfalls kurz eingegangen. Diese aktuelle Version, die mit der bisherigen Systematik der ARB vollständig bricht, liegt erst wenigen Verträgen zu Grunde, und es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang die einzelnen Anbieter der Empfehlung des GDV folgen werden.
Das VVG enthält keine Regelungen zum Versicherungs- bzw. Rechtsschutzfall, maßgeblich ist ausschließlich § 4 ARB 2008/II, der den Regelungen ab den ARB 94 entspricht. Der Unterschied in den Bedingungswerken liegt lediglich darin, dass ab den ARB 2008/II die Änderungen durch die VVG-Reform berücksichtigt sind, die aber für unser Thema keine
Rolle spielen4. In den ARB 75, auf welche sich teilweise auch die zitierte BGH-Rechtsprechung noch bezieht, ist der Versicherungsfall im Vertragsrechtsschutz in § 14 III geregelt und entspricht inhaltlich im Wesentlichen – aber nicht in allen Punkten – den ARB 94 ff.5.
II. Schrittweise Prüfung des Versicherungsschutzes
1. Fragestellungen und Systematik der ARB
Beim Thema Versicherungsfall geht es im Vertragsrechtsschutz, ebenso wie bei den anderen Definitionen des Versicherungsfalls nach § 4 I ARB 2008, immer nur um zwei Fragestellungen: Was gilt nach den ARB als Versicherungsfall? Wann ist der Versicherungsfall eingetreten bzw. besteht in zeitlicher Hinsicht Versicherungsschutz?
Die erste Fragestellung wird manchmal selbst in Gerichtsentscheidungen der Eingangsinstanzen nicht ausreichend beachtet, obwohl allen Bedingungsversionen gemeinsam ist, dass diese keine einheitliche Definition des Versicherungsfalls kennen, sondern unterschiedliche Definitionen in Abhängigkeit von der jeweils einschlägigen Leistungsart, also dem konkret versicherten Risiko. Häufig werden die einzelnen Definitionen auch vermengt, obwohl systematisch mit Ausnahme einer – mit den ARB 2000 aufgehobenen – Anspruchskonkurrenz6 jeweils nur eine Definition einschlägig sein kann.
Zunächst ist immer zu prüfen, ob das Risiko als solches versichert ist, wobei die Prüfung im Besonderen Teil der ARB mit der versicherten Rechtsschutzform beginnt. Die Rechtsschutzformen sind dabei nach einer Art Baukastensystem aufgebaut, d. h. es existiert kein „Vollrechtsschutz“, sondern die Rechtswahrnehmung des Versicherungsnehmers muss sich unter eine der versicherten Leistungsarten subsumieren lassen. Möchte ein Versicherungsnehmer beispielsweise Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall gegen den Unfallgegner bzw. dessen Haftpflichtversicherung geltend machen, ist der Schadensersatzrechtsschutz einschlägig, der im Allgemeinen Teil in § 2 a ARB 2008definiert wird. Für den Versicherungsfall hat dies die Konsequenz, dass ausschließlich die Definition des § 4 I lit. a ARB 2008maßgeblich ist.
Der Versicherungsfall im Vertragsrechtsschutz kann außerdem immer nur zu einem ganz bestimmten Datum eingetreten sein; es gibt also in der Rechtsschutzversicherung keinen „gedehnten“ Versicherungsfall7. Dieses Datum muss man als Sachbearbeiter des Versicherers oder als Anwalt des Versicherungsnehmers zweifelsfrei bestimmen können, um zu wissen, ob der eventuelle Einwand der Vorvertraglichkeit, des Prämienverzugs oder eines Ausschlusstatbestands zutrifft oder nicht.
Unterscheiden muss man bei den Tatbestandsmerkmalen der Regelungen zum Versicherungsfall im Vertragsrechtsschutz nicht nur, ob überhaupt ein (angeblicher) Rechtsverstoß vom Versicherungsnehmer vorgetragen werden kann, sondern auch, ob ein (§ 4 I lit. c ARB) oder mehrere selbstständige Rechtsverstöße (§ 4 II 2 ARB) oder ein Dauerverstoß (§ 4 II 1 ARB) vorliegt bzw. vorliegen.
Nimmt man dann noch die Regelungen zur „streitauslösenden Willenserklärung“ (§ 4 III lit. a ARB) und den Sonderfall des Steuerrechtsschutzes (§ 4 IV ARB) hinzu, wird deutlich, dass man vor einer Subsumtion und Auslegung zuerst einmal äußerst genau und schrittweise prüfen muss, welche Regelungen bzw. Fallgruppen des § 4 ARB überhaupt in Betracht kommen. Kompliziert – und für den „durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer“8 möglicherweise nicht mehr ausreichend transparent – wird es dadurch, dass sich die Regelungen des § 4 II ARB durch die Verwendung des Oberbegriffs „Rechtsschutzfall“ auf alle drei Definitionen des Versicherungsfalls beziehen, obwohl in der Praxis eigentlich nur der Versicherungsfall nach § 4 I lit. c ARB betroffen ist bzw. die Regelungen auf den Versicherungsfall im Beratungsrechtsschutz nicht passen und nach der Rechtsprechung des BGH auf den Versicherungsfall im Schadensersatzrechtsschutz im Ergebnis nicht angewendet werden („Raucherfall“9). Typischerweise kommen im Kern identische Fallgestaltungen in unterschiedlicher „Verpackung“ daher, weshalb ein hoher Abstraktionsgrad und eine eindeutige Zuordnung zu der jeweils einschlägigen BGH-Entscheidung unverzichtbar sind. Diese Grundsatzarbeit macht dann aber später eine Beschäftigung mit der Instanzrechtsprechung häufig überflüssig.
2. Wartezeit
Die jeweils einschlägige Leistungsart spielt auch bei der Frage, ob eine Wartezeit gilt, nach § 4 I a. E. ARB 2008 die entscheidende Rolle. Versicherungsschutz besteht dann nämlich nur, wenn der Versicherungsfall nach Ablauf der Wartezeit und vor einem eventuellen Ende des Rechtsschutzvertrags eingetreten ist.
Eine dreimonatige Wartezeit greift bei den Leistungsarten des § 2 lit. b bis g ARB, also grundsätzlich beim Vertragsrechtsschutz, insbesondere aber nicht beim Schadensersatz-, Beratungs- und Strafrechtsschutz. Fällt der Versicherungsfall nach Absatz 1 lit. c in eine vereinbarte Wartezeit, besteht kein Versicherungsschutz, es sei denn, es greift die in den ARB 94 ff. geregelte Ausnahme (Kauf- oder Leasing von Neufahrzeugen). Ist streitig, ob der Versicherungsfall während oder nach Ablauf der Wartezeit eingetreten ist, liegt die Beweislast, weil es sich um einen Ausschlusstatbestand handelt, beim Versicherer10.
3. Tatsächlicher oder behaupteter Rechtsverstoß
Ob ein Versicherungsfall i. S. der Definition des § 4 I lit. c ARB 2008bereits bei einem bloß behaupteten oder erst bei einem tatsächlichen Rechtsverstoß vorliegt, war vor allem im Arbeitsrechtsschutz über Jahrzehnte hinweg äußerst umstritten11.
Beispiel („Aufhebungsfall“)12: Dem Versicherungsnehmer wird von seinem Arbeitgeber ein Aufhebungsvertrag angeboten. Der Versicherer lehnt jedoch Versicherungsschutz ab, weil erst eine (noch nicht erklärte) Kündigung einen Rechtsverstoß darstelle.
Der BGH13 stellt hierzu zunächst fest, dass es für die Annahme eines Versicherungsfalls nach dem Text der ARB nicht darauf ankommt, ob ein bestimmtes Verhalten oder Unterlassen tatsächlich („objektiv“) einen Rechtsverstoß darstellt oder nicht. Es genügt mit anderen Worten das „subjektive“
Rechtsempfinden des Versicherungsnehmers, welches diesen veranlasst, wegen eines von ihm angenommenen oder zumindest für möglich gehaltenen Rechtsverstoßes der Gegenseite einen Rechtsanwalt aufzusuchen und dadurch Kosten auszulösen. Entsprechend kommt es auch nicht darauf an, ob der vom Versicherungsnehmer angenommene bzw. behauptete Rechtsverstoß schlüssig dargelegt wird, substanziiert oder entscheidungserheblich ist. Der BGH hat dies im zweiten Leitsatz in der so genannten Drei-Säulen-Theorie zusammengefasst:
„Dieses Vorbringen [des Versicherungsnehmers] muss (erstens) einen objektiven Tatsachenkern – im Gegensatz zu einem bloßen Werturteil – enthalten, mit dem er (zweitens) den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verbindet, der den Keim für eine rechtliche Auseinandersetzung enthält, und worauf er (drittens) seine Interessenverfolgung stützt.“14
Entgegen mancher Befürchtungen oder Versuche, das Urteil des BGH zu „verwässern“15, ist damit der versicherungstechnische Grundsatz der Verhinderung von Zweckabschlüssen nach wie vor gewahrt. Dies deshalb, weil die Behauptung des Rechtsverstoßes, die ohne Auslegungskünste nach dem Text der ARB nun einmal für die Annahme eines Versicherungsfalls genügt, immer mit einem objektiven Tatsachenkern einhergeht, der sich zeitlich genau fixieren lässt und gegebenenfalls vom Versicherungsnehmer zu beweisen ist. Auch eine vorsorgliche Rechtsberatung (z. B. die Abfassung eines Arbeitsvertrags oder eines Testaments) steht nach wie vor nicht unter Versicherungsschutz, weil der Versicherungsnehmer hier keinen Tatsachenkern wird benennen können, mit welchem er – auch laienhaft – den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verknüpfen kann.
Die Entscheidung des BGH ist zum Arbeitsrechtsschutz und hier zu einem Aufhebungsangebot des Arbeitgebers ergangen. Es wäre aber falsch, die Leitsätze des BGH nur auf diese Konstellation zu beziehen, vielmehr ist jetzt die Fähigkeit zur Abstrahierung gefragt, dass heißt die tragenden Gründe gelten auf Grund der Systematik der ARB für alle Leistungsarten des § 4 I lit. c ARB, also insbesondere auch für sonstige Vertragsverhältnisse. Entgegen Maier16 kommt es nach dem Urteil des BGH wohl nicht darauf an, ob das Aufhebungsangebot des Arbeitgebers mit einer sonst drohenden Kündigung verknüpft wird oder nicht. Behauptet der Versicherungsnehmer beispielsweise, wenn auch zu Unrecht, dass bereits in dem Aufhebungsangebot als solchem arbeitsrechtlich ein Rechtsverstoß bzw. eine Verletzung der Fürsorgepflicht zu sehen sei, weil man dies nur ihm, nicht aber seinen Kollegen unterbreitet habe, wird man schwerlich einen Versicherungsfall verneinen können. Gegen allzu sehr „an den Haaren herbeigezogene Rechtsverstöße“ wird sich der Versicherer aber regelmäßig mit dem Einwand fehlender Erfolgsaussichten nach § 18 ARB 2008wehren können, so dass – wenn auch an anderer Stelle – für eine Korrektur gesorgt ist.
Die Entscheidung des BGH, die als Endpunkt einer Entwicklung der Rechtsprechung zur Definition des Versicherungsfalls nach § 4 I lit. c ARB 2008bezeichnet werden kann, ist aber noch in einem anderen Punkt interessant. Im ersten Leitsatz findet sich nämlich der Hinweis, dass sich die Festlegung des „verstoßabhängigen Rechtsschutzfalls“ allein nach den vom Versicherungsnehmer behaupteten Pflichtverletzungen richtet. Diese Feststellung bezieht sich nicht nur auf den konkreten Sachverhalt, bei welchem nur ein einziger Rechtsverstoß des Arbeitgebers im Raum stand, sondern stellt möglicherweise eine generelle Aussage dar17.
4. Zeitliche Deckung bei Vorliegen eines einzigen Rechtsverstoßes
Liegt lediglich ein einziger (behaupteter) Rechtsverstoß vor, muss keine schwierige Kausalitätsprüfung stattfinden, sondern stellt nach § 4 I lit. c ARB dieser Rechtsverstoß den Versicherungsfall dar. Keine Rolle spielt dabei, wer den Rechtsverstoß begangen hat oder begangen haben soll, weil nach dem Bedingungswortlaut nicht zwischen Verstößen des Versicherungsnehmers, des Gegners und selbst eines Dritten18 unterschieden wird. Zu beachten ist in Ausnahmefällen lediglich noch die Vorschrift des § 4 III lit. a ARB 2008(„streitauslösende Willenserklärung“)19.
5. Zeitliche Deckung bei mehreren selbstständigen Rechtsverstößen
Bei dieser in § 4 II 2 ARB 2008geregelten Fallgruppe wird häufig übersehen, dass für die zeitliche Festlegung des Versicherungsfalls zwar grundsätzlich auf den ersten Rechtsverstoß abzustellen ist, jedoch solche Rechtsverstöße außer Betracht bleiben, die ein Jahr vor Beginn des Rechtsschutzvertrags liegen. Die Wartezeit wird dabei unter Auslegungsgesichtspunkten wegen der Regelung des § 7 S. 2 ARB 2008nicht mitgerechnet, d. h. die „Rückwärtsrechnung“ beginnt mit dem in der Police angegebenen Datum20. Bevor man bei mehreren Rechtsverstößen (analog der BGH-Rechtsprechung) eine Kausalitätsprüfung vornimmt, sollte man zunächst anhand einer „Zeitschiene“ und der Anwendung der „Ein-Jahres-Regelung“ prüfen, ob überhaupt auf die Kausalität eingegangen werden muss.
Beispiel: Der Arbeitgeber des seit dem 1. 1. 2010 nach § 26 ARB 2008versicherten Versicherungsnehmers kündigt den Arbeitsvertrag am 1. 7. 2010 fristlos, weil der Versicherungsnehmer am 1. 5. 2010 die Arbeit verweigert habe und außerdem im Rahmen einer Prüfung im Mai 2010 festgestellt worden sei, dass der Versicherungsnehmer im Dezember 2008 eine falsche Spesenabrechnung eingereicht habe.
Geht man zunächst nur vom Bedingungstext des § 4 II 2 ARB aus, kommen als Rechtsverstöße des Versicherungsnehmers der Verstoß gegen die Arbeitsanweisung und die angeblich falsche Spesenabrechnung im Dezember 2008 in Betracht. Ob die Spesenabrechnung arbeitsrechtlich wegen des Versäumens der 14-Tage-Frist eine fristlose Kündigung zu begründen vermag, spielt entgegen einer Entscheidung des LG Heidelberg21 keine Rolle, ebenso die Frage, ob tatsächlich ein Spesenbetrug vorliegt oder nicht. Subsumiert man der Reihe nach, fallen der Rechtsverstoß des Arbeitgebers (aus Sicht des Versicherungsnehmers die fristlose Kündigung) und der Verstoß gegen die Arbeitsanweisung in die zeitliche Deckung, weil sie nach Ablauf der Wartezeit liegen. Der (angebliche) Spesenbetrug ist nach der „Ein-Jahres-Regel“ nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen, so dass der Versicherungsfall am 1. 5. 2010 eingetreten ist. Ob der Spesenbetrug versicherungsrechtlich noch kausal für den Rechtsstreit bzw. die fristlose Kündigung war, spielt keine Rolle, weil es sich bei der „Ein-Jahres-Regel“ um eine unwiderlegbare Vermutung fehlender Kausalität handelt. Dieser rein formalen, einfachen und schnellen Prüfung des Versicherungsschutzes bei mehreren Rechtsverstößen haben die ARB 2012 leider ein Ende bereitet, weil die „Ein-Jahres-Regel“ ersatzlos gestrichen wurde. Darin könnte eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers i. S. des AGB-Rechts liegen22. Während der Versicherer selbst sich nämlich nach wie vor auf die dreimonatige Wartezeit stützen kann, fehlt mit der Streichung der „Ein-Jahres-Regel“ das Pendant auf Versicherungsnehmerseite. Jedenfalls aber kann es nicht im Sinne einer einfachen und schnellen Entscheidung über den Versicherungsschutz sein, wenn es zukünftig zu einer Prozessflut über Fragen der Kausalität kommen sollte, so dass sich die Frage stellt, ob hier nicht das Leistungsversprechen der Rechtsschutzversicherung unzulässigerweise „ausgehöhlt“ wird23. Dies gilt auch dann, wenn es im Einzelfall nach der bisherigen Regelung zu aus Versicherersicht nicht gewünschten Ergebnissen gekommen sein sollte.
Beispiel („BUZ-Fall“)24: Der seit 2010 rechtsschutzversicherte Versicherungsnehmer hat 2008 eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen und macht 2012 Leistungsansprüche wegen Berufsunfähigkeit geltend, die der Versicherer ablehnt, weil der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags gegen eine Anzeigeobliegenheit verstoße habe.
Konsequenterweise hat das OLG Karlsruhe25 den Versicherungsfall in der Leistungsablehnung gesehen, weil mehrere Rechtsverstöße (Anzeigepflichtverletzung und Leistungsablehnung) in Betracht kamen, wegen der „Ein-Jahres-Regelung“ die Anzeigepflichtverletzung nicht zu berücksichtigen ist und diese auch nicht als „streitauslösende Willenserklärung“ gewertet werden kann, weil die Regelungen zum Rechtsverstoß vorgehen26. Auch der BGH27 hat am Rande erwähnt, dass die „Ein-Jahres-Regel“ dazu führen kann, dass sich der Versicherungsnehmer im Einzelfall gezielt Versicherungsschutz verschaffen könne, dies aber mit der Klauselfassung als „hingenommen“ gelte.
Ausnahmefälle wie der Sachverhalt des richtig (!) entschiedenen Urteils des OLG Karlsruhe28 wären aber auch ohne eine Streichung der „Ein-Jahres-Regelung“ in den Griff zu bekommen, beispielsweise indem man eine Ausnahme für den Fall definiert, dass der vom Versicherungsnehmer herangezogene einzige Rechtsverstoß des Gegners ausschließlich auf dem einzig dem Versicherungsnehmer vorgeworfenen Rechtsverstoß beruht29. Außerdem deutet der BGH30 richtigerweise an, dass Zweckabschlüsse in der Rechtsschutzversicherung eher kurzfristig veranlasst sind, so dass es zu Gunsten des Versicherers ausreicht, wenn nur Rechtsverstöße berücksichtigt werden, die innerhalb der Jahresfrist liegen. Ein 100 %-iger Ausschluss von Zweckabschlüssen wird nicht möglich sein, bzw. allzu enge Regeln verbieten sich, weil sonst auch die Mehrheit der redlichen Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt würde. Zu berücksichtigen ist zu Gunsten des Versicherungsnehmers aber nach wie vor auch im Rahmen der Neufassung in den ARB 2012, dass dieser lediglich einen zeitlich gedeckten Rechtsverstoß vortragen muss und dann die Beweislast für die Kausalität des vom Versicherer herangezogenen Rechtsverstoßes bei diesem liegt31.
6. Zeitliche Deckung bei einem Dauerverstoß
Bei der Frage der zeitlichen Deckung ist auf Grund der unterschiedlichen Rechtsfolgen äußerst genau zwischen mehreren selbstständigen Rechtsverstößen und einem – in § 4 II 1 ARB 2008geregelten – Dauerverstoß zu unterscheiden. Mit dem Einwand des Dauerverstoßes hatte sich auch das OLG Karlsruhe im oben erwähnten „BUZ-Fall“32 zu beschäftigen. Das Gericht hat zu Recht einen Dauerverstoß, bei dem für die zeitliche Festlegung auf den Beginn abzustellen ist und bei dem die „Ein-Jahres-Regel“ nicht gilt, verneint33. Wenn der Versicherungsnehmer einmalig und zu einem bestimmten Datum gegen eine Rechtspflicht verstoßen habe, könne nicht darauf abgestellt werden, dass damit ein (dauerhaft) vertragswidriger Zustand geschaffen worden sei.
Für die Praxis ist wichtig, dass ein Dauerverstoß im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen nur bei sich gleichartig wiederholenden unselbstständigen Rechtverstößen angenommen werden kann.
Beispiel: Auf Grund einer falschen Eingruppierung zahlt der Arbeitgeber des Versicherungsnehmers jeden Monat ein zu geringes Gehalt aus. Der Versicherungsfall ist mit der ersten „falschen“ Gehaltszahlung eingetreten.
Sehr streitig ist die Frage des Dauerverstoßes im Mietrechtsschutz34, wobei Teile der Literatur und Instanzrechtsprechung bei den so genannten „Schimmelpilzfällen“ den Versicherungsfall zu Recht bei einer Mietminderung des Versicherungsnehmers nicht in dem Auftreten des (auch bauartbedingten) Mangels, sondern in der unterlassen Mangelbeseitigung durch den Vermieter trotz Fristsetzung sehen35.
Ob die Regelung des Dauerverstoßes, bei welcher es sich wohl nicht um einen „feststehenden Rechtsbegriff“ handelt, für den Versicherungsnehmer überhaupt ausreichend transparent ist, wird zu Recht bezweifelt36. In den ARB 2012 heißt es unter 2.4.4:
„Wenn sich Ihr Versicherungsfall über einen Zeitraum erstreckt, ist dessen Beginn maßgeblich.“ (Am Rande des Textes findet sich dann noch der Buchstabe A, der „Allgemein“ bedeuten soll).
Das ist sicher nicht verständlicher formuliert als die bisherige Klausel. Besser wäre es, auf die von Rechtsprechung und Literatur entwickelte Definition abzustellen, wonach sich regelmäßig wiederholende bzw. fortlaufende gleichartige Verstöße gemeint sein sollen, die als einheitlicher Handlungs- oder Unterlassungsvorgang erkennbar sind37, oder ein einmaliger Verstoß, der zu einer andauernden Beeinträchtigung einer Sache führt38. Ist streitig, ob ein Dauerverstoß vorliegt, liegt die Beweislast beim Versicherer, weil es sich um einen Ausschlusstatbestand handelt. Steht der Dauerverstoß als solcher fest und ist lediglich der Beginn streitig, liegt die Beweislast dagegen beim Versicherungsnehmer, es sei denn, dieser ist seiner Aufklärungsobliegenheit soweit als möglich nachgekommen39.
7. Ausnahmefall „streitauslösende Willenserklärung“
Nach § 4 III lit. a ARB 2008besteht kein Rechtsschutz, wenn die „streitauslösende“ Willenserklärung oder Rechtshandlung vor Beginn des Versicherungsschutzes erfolgte. Willenserklärungen innerhalb der Wartezeit sind unschädlich. Für den „durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer“ ist der Begriff der „streitauslösenden Willenserklärung“ wohl nicht nachvollziehbar und, da kein feststehender Rechtsbegriff, auch für Juristen schwer verständlich. Dies gilt zwar nicht für den Begriff „Willenserklärung“ bzw. „Rechtshandlung“ – aber welche Willenserklärung löst einen Verstoß nach § 4 I lit. c ARB aus und welche nicht? Genügt – wie manchmal argumentiert wird – bereits eine Willenserklärung, die ein Vertragsverhältnis begründet, aus welchem später Streit entsteht, oder ist die Bestimmung als Ausschlusstatbestand besonders eng auszulegen, wenn man überhaupt ihre Transparenz bejaht?
Beispiel („Rentenfall“40): Der Versicherungsnehmer ist der Auffassung, er sei berufsunfähig. Wegen erwarteter Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines Leistungsanspruchs schließt er eine Rechtsschutzversicherung ab und beantragt anschließend Leistungen aus der Rentenversicherung. Der Rentenversicherungsträger lehnt nach Ablauf der Wartezeit der Rechtsschutzversicherung Versicherungsschutz ab.
Einschlägig ist zwar nicht der Vertragsrechtsschutz, sondern der Sozialgerichtsrechtsschutz nach § 2 lit. f ARB 2008; dieser greift aber ebenfalls auf die Definition des Versicherungsfalls nach § 4 I lit. c ARB zu, so dass der Versicherungsfall allein in der Ablehnung des Rentenantrags zu sehen ist und damit in die zeitliche Deckung fällt. Der Rentenantrag wird jetzt allerdings als „streitauslösende Willenserklärung“ betrachtet, so dass Versicherungsschutz nach § 4 III lit. a ARB ausscheidet, wenn der Rentenantrag vor Beginn des Versicherungsschutzes erfolgte. Hier muss man die ARB aber – wie immer – vollständig lesen und stößt dann auf § 7 S. 2 ARB 2008, wonach die Wartezeit bei der Bestimmung des Versicherungsbeginns unberührt bleibt41, so dass im Ergebnis doch Versicherungsschutz besteht.
Der BGH hält die Klausel, soweit er sich in wenigen Entscheidungen damit am Rande befasst hat, für wirksam. Er scheint sie aber noch enger auszulegen als Instanzrechtsprechung und Literatur, weil er nicht wie diese auf eine „generelle Streitträchtigkeit“ abstellt, sondern den Begriff „vorprogrammiert“ verwendet42, was nach allgemeinem Sprachgebrauch auf eine zwangsläufige Entwicklung schließen lässt. Dies entspricht durchaus dem Vertragszweck der Rechtsschutzversicherung oder überhaupt jeder Versicherungsart, weil sich der Versicherungsnehmer legitimerweise gegen nur für möglich gehaltene, aber nicht sichere Risikoeintritte versichern darf und dies der wirtschaftliche Kern jeder Versicherung ist.
Verneint hat der BGH43 zuletzt im Fall der Ausübung eines Widerrufsrechts durch den Versicherungsnehmer die „streitauslösende Wirkung“ einer zuvor unterlassenen ausreichenden Vertragsinformation. Immer dann also – so könnte man schließen – wenn auf Grund der vom Versicherungsnehmer vollständig vorzulegenden Unterlagen ex ante nicht eindeutig vorhersehbar war, dass es zu einem Rechtsstreit kommen wird, wäre der Versicherungsfall bzw. der Rechtsstreit nicht vorprogrammiert. Zweifel gingen zu Lasten des Versicherers, weil es sich unstreitig um einen Ausschlusstatbestand handelt.
Andererseits vermischen sich auch hier, ähnlich wie bei der weiten Definition des Versicherungsfalls44, faktisch Fragen der Erfolgsaussichten mit denen der formellen Deckung. Bestehen nämlich keine Erfolgsaussichten für einen Widerruf oder eine Irrtumsanfechtung des Versicherungsnehmers und ist entsprechend mit einer Weigerung der Gegenseite bzw. deren Rechtsverstoß fest zu rechnen, steht zwar einerseits fest, dass der Rechtsstreit vorprogrammiert ist, könnte der Versicherer aber zugleich auch den Einwand mangelnder Erfolgsaussichten nach § 18 ARB erheben. Diese Interpretation der BGH-Rechtsprechung bedeutet eine Abkehr von der bisherigen generalisierenden Betrachtung der überwiegenden Instanzrechtsprechung und Literatur hin zu einer Einzelfallbetrachtung45. Mit dem Wortlaut der ARB wäre diese Auffassung aber besser zu vereinbaren, weil der Versicherungsnehmer dem Text derzeit nicht entnehmen kann, dass es auf eine generelle Eignung ankommen soll. In diesem Sinne könnte auch eine ältere Entscheidung des OLG Hamm46 zu deuten sein, wonach ein tatsächlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen der Willenserklärung und dem späteren Rechtsverstoß gegeben sein muss.
Auch die Beweislast dafür, dass die „streitauslösende Willenerklärung oder Rechtshandlung“ zeitlich vor Beginn des Versicherungsschutzes47 oder überhaupt48 erfolgte, liegt beim Versicherer49. Stellt die „streitauslösende Willenserklärung“ zugleich einen (behaupteten) Rechtsverstoß dar, gehen die Regelungen zum Versicherungsfall, insbesondere die „Ein-Jahres-Regelung“, vor bzw. greift § 4 III lit. a ARB unter AGB-Gesichtspunkten nicht ein50.
III. Kausalitätsfragen beim Rechtsverstoß
1. Überblick
Bewegt man sich – abgesehen von der „streitauslösenden Willenerklärung“, bei der es ebenfalls bereits um Kausalitätsfragen geht – innerhalb der einzelnen Fallgruppen des § 4 I und II ARB noch auf relativ sicherem Gelände, wird es bei der Kausalität des nach obigen Kriterien gefundenen Rechtsverstoßes schwierig. Dies jedenfalls dann, wenn nicht nur ein einziger Rechtsverstoß vorliegt und der erste Rechtsverstoß unter Berücksichtigung der einfach zu handhabenden „Ein-Jahres-Regelung“ außerhalb des versicherten Zeitraums liegt. Dann – aber auch nur dann – hat nämlich zwangsläufig eine Prüfung der Kausalität stattzufinden.
Die ARB definieren die Kausalität nicht näher, die Rede ist in § 4 II 2 ARB lediglich von dem Begriff „ursächlich“, wobei Einigkeit darüber besteht, dass im Versicherungsrecht nur adäquate Ursachen relevant sind, also solche Umstände, die geeignet sind, den Schaden nicht nur unter ganz unwahrscheinlichen Bedingungen herbeizuführen51. Diese Definition ist allerdings für die Rechtsschutzversicherung viel zu weitgehend, weshalb sich der BGH schon früh mit Kausalitätsfragen beschäftigen musste und eine Entwicklung seiner Rechtsprechung festzustellen ist. Zwei Fragen sind dabei zu unterscheiden: Ist bei der Prüfung der Kausalität zwischen Rechtsverstößen des Versicherungsnehmers und seines Gegners zu unterscheiden? Wann ist ein Rechtsverstoß kausal und wann nicht?
2. Unterschiede zwischen Aktiv- und Passivprozess des Versicherungsnehmers?
Die Frage, ob bei der Kausalitätsprüfung zwischen Aktiv- und Passivprozessen des Versicherungsnehmers zu unterscheiden ist, scheint anhand des Textes von § 4 I lit. c ARB 2008(bzw. der Vorläuferversionen) leicht zu entscheiden zu sein, weil danach sowohl Rechtsverstöße des Versicherungsnehmers als auch des Gegners oder eines anderen als tauglicher Verstoß in Betracht kommen.
Beispiel („Aktivprozessfall I“)52: Der Versicherungsnehmer macht Abschlagszahlungen aus einem Werkvertrag geltend, deren Ausgleich nach Fälligkeit verweigert wird. Die Fälligkeit liegt nach Ablauf der Wartezeit des Rechtsschutzvertrags, die Gegenseite verweigert den Ausgleich mit der Begründung, dass abredewidrig bestimmte Arbeiten noch nicht erbracht worden seien, wobei diese angeblich vor Beginn des Rechtschutzvertrags hätten erbracht werden müssen.
Diese Konstellation hat der BGH damals so entschieden, „dass es für die Bestimmung des Versicherungsfalls gleichgültig ist, ob der Versicherungsnehmer angreifen oder sich verteidigen will, bzw. ob er sich in der Rolle des Klägers oder Beklagten befindet“. Begründet hat dies der BGH – was nach jüngerer Rechtsprechung nicht mehr zulässig wäre – mit der Entstehungsgeschichte der ARB, weil im Vertragsrechtsschutz ab den ARB 75 nicht mehr wie früher zwischen Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung unterschieden werde.
Passt zu dieser Argumentationslinie noch eine spätere Entscheidung des BGH zum Versicherungsfall im Schadensersatzrechtsschutz, wobei hier natürlich die Definition des § 4 I lit. a ARB 2008bzw. die grundsätzlich53 identische Fassung der ARB 75 und nicht § 4 I lit. c ARB 2008heranzuziehen ist?
Fall („Raucherfall“)54: Der Versicherungsnehmer, langjähriger Raucher und nikotinabhängig, macht nach einem Herzinfarkt Produkthaftungsansprüche gegen einen Zigarettenhersteller geltend, weil es dieser trotz Kenntnis unterlassen habe, Warnhinweise auf die suchterregende Wirkung beigemischter Stoffen zu erteilen. Der Versicherer lehnt Versicherungsschutz ab, weil die Kenntnis der Suchtwirkung zwar nach Beginn des Rechtsschutzvertrags liege, der Versicherungsnehmer aber bereits zuvor nikotinabhängig gewesen und dies als „Schadenereignis“ zu werten sei.
Hier hat der BGH auf das sich aus den ARB ergebende Zusammenspiel zwischen Leistungsart und Definition des Versicherungsfalls55 abgestellt, weil der Versicherungsnehmer i. S. der Leistungsart des § 2 lit. a ARB 2008Schadensersatzansprüche nur bei einem der Gegenseite haftungsrechtlich zurechenbaren Verhalten geltend machen könne. Eigenes Verhalten des Versicherungsnehmers könne zwar für den Schaden mitursächlich sein, sei aber kein dem geltend gemachten Anspruch zu Grunde liegendes Schadenereignis. Diese Entscheidung ist auch für den Vertragsrechtsschutz relevant, weil das „Schadenereignis“ mit Ausnahme von Fällen der Gefährdungshaftung regelmäßig dem behaupteten „Rechtsverstoß“ des § 4 I lit. c ARB 2008entsprechen wird.
Mit der Festlegung des Rechtsschutzfalls bei Aktivprozessen des Versicherungsnehmers hatte sich der BGH56 auch jüngst wieder zu befassen:
Der Versicherungsnehmer begehrte Versicherungsschutz für eine Auseinandersetzung mit seinem früheren Lebensversicherer, von dem er eine Rückzahlung von Prämien beanspruchte. Er kündigte die mehrere Jahre vor Beginn des Rechtschutzversicherungsvertrags abgeschlossene Lebensversicherung nach Ablauf der Wartezeit und widersprach schließlich noch dem Vertragsabschluss, weil er nicht auf ein gesetzliches Widerrufsrecht hingewiesen worden sei. Im ersten Leitsatz formuliert der BGH:
„Begehrt der Versicherungsnehmer einer Rechtsschutzversicherung Deckungsschutz für die Verfolgung eigener Ansprüche („Aktivprozess“), richtet sich die Festlegung des verstoßabhängigen Rechtsschutzfalls i. S. von § 4 I 1 c ARB 2004 allein nach der von ihm behaupteten Pflichtverletzung seines Anspruchgegners auf die er seinen Anspruch stützt (Hervorhebung durch den Autor).“57
Die spannende Frage ist, ob diese Formulierung eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung58 bedeutet, wonach auch bei einem Aktivprozess des Versicherungsnehmers eigene (vom Gegner behauptete) Rechtsverstöße des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind. Die Formulierung der Leitsätze und der Verweis auf den „Raucherfall“59 legen dies nahe und tatsächlich will der BGH nach einem bisher nicht veröffentlichten Aufsatz von Wendt, der als Richter an dem Verfahren beteiligt war, auch so verstanden werden. Begründet wird dies mit der gebotenen Auslegung der ARB aus Versicherungsnehmersicht, wonach dieser bei der Verfolgung eigener Ansprüche einen den Rechtsschutzfall auslösenden Verstoß allein in dem vermeintlichen Fehlverhalten der Gegenseite sähe.
Mit § 4 I c ARB 2008, der nicht zwischen Verstößen des Versicherungsnehmers oder des Gegners unterscheidet, ist dies meines Erachtens dann (noch) vereinbar, wenn man entsprechend der Gliederung dieses Aufsatzes von einer Frage der Kausalität ausgeht bzw. diese aus Versicherungsnehmersicht versteht. Der Versicherungsnehmer gerät nämlich, ähnlich wie im „aktiven“ Schadensersatzrechtsschutz, nicht durch eigene Rechtsverstöße in die Position des Anspruchsstellers bzw. Klägers, sondern nur durch von ihm behauptete Rechtsverstöße des Gegners, so dass allein diese zum Entstehen des versicherten konkreten Kostenrisikos führen können.
Diese Grundsätze wendet der BGH60 auch auf die „streitauslösende Willenserklärung oder Rechtshandlung“61 an, weil es nach seiner Auffassung sonst der Gegner in der Hand hätte, mittels der bloßen Behauptung, das ihm angelastete Verhalten sei durch eine länger zurückliegende Willenserklärung des Versicherungsnehmers ausgelöst worden, diesem den Rechtsschutz zu entziehen. Entsprechend könne nur auf solche Willenserklärungen oder Rechtshandlungen abgestellt werden, die der Versicherungsnehmer selbst zur Begründung seines Anspruchs dem Antragsgegner anlastet oder die nach seinem eigenen Vorbringen den Verstoß des Gegners ausgelöst haben.
Zusammengefasst wendet der BGH die Grundsätze des „Raucherfalls“62 bzw. des „aktiven“ Schadensersatzrechtsschutzes also auch auf den „aktiven“ Vertragsrechtsschutz an. Es wird sicher einige Zeit benötigen, bis sich diese Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Regulierungspraxis und der Instanzrechtsprechung niederschlagen wird und alle Konsequenzen gezogen sind. Dies kann auch die auf Basis der bisherigen Rechtsprechung geschilderten Konstellationen unter II 5–7 betreffen, soweit sich der Versicherungsnehmer in der aktiven Rolle befindet. Ein großer Teil der bisherigen Rechtsprechung wird Makulatur, und der Streit wird sich auf neue Felder verlagern. Unterscheidet man zukünftig im Vertragsrechtsschutz danach, ob sich der Versicherungsnehmer in der aktiven oder passiven Rolle befindet, wird beispielsweise die Bedeutung der „Ein-Jahres-Regel“ und des „Dauerverstoßes“ abnehmen, ist aber wahrscheinlich beim Neuabschluss von Rechtsschutzverträgen mit längeren Wartezeiten zu rechnen.
Die Rechtsansicht des BGH wird man auch auf Fälle anwenden müssen, in denen der Versicherungsnehmer durch die Kündigung oder Anfechtung von Dauerschuldverhältnissen in die aktive Rolle gerät, also beispielsweise auf Feststellungs- und Leistungsklagen gegen einen Versicherer. Auf letztgenannte Konstellation bezog sich nämlich das unter der Fußnote 60 zitierte Revisionsverfahren des BGH gegen die oben erwähnte Entscheidung des OLG Karlsruhe im „BUZ-Fall“63.
Aus Versicherersicht sind die Folgen der geänderten Rechtsprechung des BGH meines Erachtens nicht ganz so gravierend, wie wahrscheinlich befürchtet. So genannte Zweckabschlüsse, bei welchen der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Rechtsschutzvertrags bereits fest mit dem Entstehen von Kosten rechnet, sind regelmäßig kurzfristig veranlasst, so dass der Rechtsverstoß des Gegners häufig bereits begangen sein oder in die Wartezeit fallen wird. Manipulationen ist dadurch vorgebeugt, dass der Versicherungsnehmer nicht gegenüber dem Rechtsschutzversicherer vorvertragliche Rechtsverstöße des Gegners „unter den Tisch fallen lassen“ kann, die er andererseits im Ausgangsverfahren zur Begründung seines Anspruchs benötigt.
3. Kausalität von zeitlich nicht gedeckten Rechtsverstößen
Kommt man unter Beachtung der unter II 5 geschilderten Regeln bei Passivprozessen des Versicherungsnehmers zum Schluss, dass bei mehreren (behaupteten) Rechtsverstößen einer oder mehrere Rechtsverstöße nach Ablauf der Wartezeit liegen, einer oder mehrere Rechtsverstöße aber innerhalb der Jahresfrist vor Beginn des Versicherungsschutzes, ist wie bisher zu prüfen, ob die Behauptungen des Gegners als „Kolorit“ einzustufen sind bzw. ob es sich um „verziehene oder „hingenommene“ Rechtsverstöße handelt, welche die Kausalität entfallen lassen64. Bei Aktivprozessen des Versicherungsnehmers sind konsequenterweise alle Rechtsverstöße des Gegners kausal, mit welchen der Versicherungsnehmer seinen Anspruch begründet.
IV. Fazit
Die Frage, ob ein als Versicherungsfall tauglicher Rechtsverstoß bzw. Sachverhalt vorliegt, dürfte durch die Rechtsprechung des BGH abschließend geklärt sein. Bei der zeitlichen Festlegung des Versicherungsfalls ist zwischen einem Rechtsverstoß, mehreren Rechtsverstößen und einem Dauerverstoß zu unterscheiden, auf Grund der geänderten höchstrichterlichen Rechtsprechung erstmals aber auch im Vertragsrechtsschutz zwischen Aktiv- und Passivprozessen des Versicherungsnehmers.
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1 Der ab den ARB 94 verwendete Begriff „Rechtsschutzfall“ ist synonym mit dem Begriff Versicherungsfall, die ARB 2012 verwenden wieder den Begriff Versicherungsfall.
2 Abgedruckt z. B. bei Harbauer, Rechtsschutzversicherung ARB, 8. Aufl. (2010); aktuelle Version jeweils abrufbar unter www.gdv.de.
3 Siehe hierzu allgemein Maier, r + s 2013, 105; Bauer, VersR 2013, 661.
4 Betroffen sind im Wesentlichen die Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalls (Aufgabe des „Alles-oder-Nichts-Prinzips“).
5 Siehe hierzu Harbauer/Cornelius-Winkler (o. Fußn. 2), § 14 ARB 75 Rdnrn. 27 ff.
6 Vgl. LG Hannover, NZV 1999, 1407 (zu den ARB 94); Harbauer/Stahl (o. Fußn. 2), vor §§ 21 ff. ARB 2000 Rdnrn. 10 f.; Harbauer/Cornelius-Winkler, ebd., § 14 ARB 75 Rdnrn. 11 ff.
7 Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 10.
8 Aus dessen Sicht sind die ARB grundsätzlich auszulegen, vgl. Harbauer/Bauer (o. Fußn. 2), vor § 1 ARB 2000 Rdnrn. 5 ff.
9 BGH, NJW 2003, 1936 = VersR 2003, 638 (es gibt danach immer nur ein maßgebliches Schadensereignis).
10 OLG Hamm, VersR 1977, 953.
11 Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 Rdnr. 57.
12 BGH, NJW 2009, 365 = VersR 2009, 109.
13 NJW 2009, 365 = VersR 2009, 109.
14 BGH, NJW 2009, 365 = VersR 2009, 109 Ls. 1.
15 Harbauer/Stahl (o. Fußn. 2), § 2 Rdnr. 81
16 Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 62
17 Vgl. BGH, NJW 2013, 2285 = r + s 2013, 283; dazu noch unter III 2.
18 Vgl. hierzu Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 56.
19 Dazu noch unten unter II 7.
20 Cornelius-Winkler, Rechtsschutzversicherung – Ein Leitfaden für die Praxis, 3. Aufl. (2008), S. 48; OLG München, r + s 2012, 293; AG Mannheim, VersR 1989, 1255.
21 LG Heidelberg, VersR 1993, 1395 = BeckRS 1993, 30843598.
22 Maier, r + s 2013, 105 (107).
23 Siehe allgemein zur „Aushöhlung“ des Versicherungsschutzes BGH, NJW 2013, 1007 m. Anm. Bauer; Münkel, jurisPR-VersR 4/2013 Anm. 2 und Cornelius-Winkler, r + s 2013, 172.
24 OLG Karlsruhe, r + s 2012, 175 = VersR 2012, 987 = BeckRS 2012, 00046 (nach Rücknahme der Revision mittlerweile rkr.).
25 r + s 2012, 175 = VersR 2012, 987 = BeckRS 2012, 00046
26 S. hierzu II 7.
27 BGH, VersR 1984, 530 = BeckRS 1984, 30388394 (unter 3 e).
28 r + s 2012, 175 = VersR 2012, 987 = BeckRS 2012, 00046
29 Maier, r + s 2013, 105 (108).
30 BGH, VersR 1984, 530 = BeckRS 1984, 30388394 (unter 3 e).
31 AG Essen, VersR 1993, 605 = BeckRS 2013, 16389.
32 r + s 2012, 175 = VersR 2012, 987.
33 OLG Karlsruhe, r + s 2012, 175 = VersR 2012, 987 (988) (unter 3).
34 Vgl. Cornelius-Winkler, NZM 2012, 817.
35 Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl. (2010), § 4 ARB 2008 Rdnr. 108 (m. Nachw. zur Rspr.).
36 Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 107.
37 So in etwa BGH, NJW 2006, 292 = VersR 2006, 108, in einer Entscheidung zu der vergleichbaren Problematik nach den AKB.
38 Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000, 108.
39 OLG Celle, r + s 1993, 303; Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 109.
40 Abwandlung von BGH, Beschl. v. 5. 4. 2006 – IV ZR 176/05, BeckRS 2013, 11723 (Beschluss gem. § 522 a ZPO).
41 Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 4; OLG München, r + s 2012, 293.
42 BGH, NJW-RR 2006, 37 = VersR 2005, 1684 (unter I 3 e); NJW-RR 2008, 271 = VersR 2008, 113.
43 BGH, NJW 2013, 2285 = r + s 2013, 283 (285) („Aktivprozessfall II“).
44 Vgl. BGH, NJW 2009, 365 = VersR 2009, 109 („Aufhebungsfall“).
45 Armbrüster, in: Prölss/Martin (o. Fußn. 35), § 4 ARB 2008 II Rdnr. 132, kritisiert ebenfalls das Abstellen auf eine „generelle Streitträchtigkeit“, versucht aber dennoch, typisierende Maßstäbe zu entwickeln.
46 NJW-RR 1992, 354 = VersR 1992, 734.
47 Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 4; OLG München, r + s 2012, 293.
48 Eine Behauptung reicht anders als beim Rechtsverstoß nicht aus, vgl. Armbrüster, in: Prölss/Martin (o. Fußn. 35), § 4 ARB 2008 II Rdnr. 129.
49 Ohne Berücksichtigung der Wartezeit, vgl. Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000 Rdnr. 140.
50 OLG Saarbrücken, r + s 2000, 185 = VersR 2000, 1537.
51 Armbrüster, in: Prölss/Martin (o. Fußn. 35), § 4 ARB 2008/II Rdnr. 4.
52 BGH, VersR 1984, 530 = BeckRS 1984, 30388394.
53 Abgesehen von den Unterschieden zwischen der Kausal- und Folgeereignistheorie, wobei nach den ARB 2012 jetzt wieder die für den Versicherungsnehmer günstigere Folgeereignistheorie gelten soll, vgl. Hilmer-Möbius, in: van Bühren/Plote, ARB, 3. Aufl. (2013), ARB 2012 Rdnr. 45.
54 BGH, NJW 2003, 1936 = r + s 2003, 363 = VersR 2003, 638.
55 Unter II 1.
56 BGH, r + s 2013, 283 („Aktivprozessfall II“).
57 Vergleichbar auch bereits BGH, NJW 2009, 365 = VersR 2009, 109 („Aufhebungsfall“); NJW-RR 2008, 271 = VersR 2008, 113 („Haustürwiderrufsfall“).
58 Vgl. BGH, VersR 1984, 530 = BeckRS 1984, 30388394 („Aktivprozessfall I“).
59 BGH, NJW 2003, 1936 = r + s 2003, 363 = VersR 2003, 638.
60 Hinweis im Revisionsverfahren IV ZR 29/12 zum Urteil des OLG Karlsruhe im „BUZ-Fall“ (r + s 2012, 175 = VersR 2012, 987 = BeckRS 2012, 00046).
61 Vgl. o. unter II 4.
62 BGH, NJW 2003, 1936 = r + s 2003, 363 = VersR 2003, 638.
63 r + s 2012, 175 = VersR 2012, 987 = BeckRS 2012, 00046.
64 LG Ellwangen, VersR 1983, 826; Harbauer/Maier (o. Fußn. 2), § 4 ARB 2000, Rdnr. 108; Cornelius-Winkler, NZM 2012, 817 (826); AG Essen, VersR 1993, 605 (zur Beweislast).
Rechtsanwalt Joachim Cornelius-Winkler: Der Autor ist Rechtsanwalt sowie Fachanwalt und Lehrbeauftragter für Versicherungsrecht in Berlin.