Kriegsbedingte Versorgungslücken mit Gas in der Betriebsunterbrechungsversicherung

Kriegsbedingte Versorgungslücken mit Gas in der Betriebsunterbrechungsversicherung

I. Einleitung

Etwa 50 % der in Deutschland verbrauchten Gasmenge wurde im Jahre 2020 aus Russland importiert. Seit Beginn des Ukraine-Krieges erscheint ein vollständiger Liefer- oder Importstopp für dieses Gas als möglich, sei es, weil Russland seine Gaslieferungen einstellt, oder sei es, weil die Bundesregierung im Rahmen eines Embargos vollständig auf die Lieferung russischen Gases verzichtet. Zudem erscheint eine Zerstörung der Transit-Infrastruktur in der Ukraine als möglich. Das Gas stellt für Deutschland nicht nur einen fundamental wichtigen Energieträger für Industrie und Privathaushalte dar, sondern auch einen wesentlichen Rohstoff der chemischen Industrie. Im Falle einer Unterbrechung der Gaslieferung an Industrieanlagen drohen in den betroffenen Anlagen nicht nur Sachschäden, etwa weil Schmelzöfen erkalten und irreparabel aushärten, sondern in erheblichem Umfang auch Betriebsunterbrechungsschäden, weil ohne Gas als Rohstoff oder Energieträger der Betrieb ganz oder teilweise nicht fortgeführt werden kann. Gegenstand des nachfolgenden Beitrags ist die Frage, ob Betriebsunterbrechungsversicherungen solche Schäden zumindest teilweise abdecken.

II. Notfallplan Gas

Die Frage, ob für einen Gaslieferstopp Versicherungsschutz aus einer Betriebsunterbrechung in Betracht kommt, kann nicht abstrakt ohne nähere Betrachtung des „Notfallplan Gas“ geklärt werden. Dieser regelt die Verteilung der in Deutschland zur Verfügung stehenden Gasmenge im Falle eines Versorgungsmangels. Der Notfallplan sieht in Übereinstimmung mit Art. 11 Abs. 1 SoS-VO der Europäischen Union drei Krisenstufen vor: Die sog. Frühwarn-, die Alarm- und die Notfallstufe. Nach der gesetzlichen Konzeption ist zuvörderst die Gasversorgung der besonders geschützten Kunden iSv Art. 6 SoS-VO sicherzustellen. Dies sind in Deutschland gem. §53 S. 1 EnWG Haushaltskunden (Nr. 1), grundlegende soziale Dienste wie Krankenhäuser (Nr. 2) sowie Fernwärmeanlagen, die Wärme an Haushaltskunden liefern (Nr. 3). Industriebetriebe sind nicht priorisiert. Die Frühwarnstufe wurde bekanntlich bereits unter dem 30.3.2022 ausgelöst. Auf der zweiten, der sog. „Alarmstufe“, liegt eine Störung der Gasversorgung vor, die zu einer erheblichen Verschlechterung der Gasversorgungslage führt, die der Markt aber noch selbst bewältigen kann (marktbasierte Instrumente). Liegt eine außergewöhnlich hohe Nachfrage nach Gas vor, die eine erhebliche Störung der Gasversorgung oder eine andere beträchtliche Verschlechterung der Versorgungslage zur Folge hat und reicht der Einsatz marktbasierter Maßnahmen zur Deckung der Nachfrage nicht aus, kommen hoheitliche Maßnahmen in Betracht. Diese sind einschließlich Zuständigkeiten im Energiesicherheitsgesetz (EnSiG) iVm der Gassicherungsverordnung (GasSV) geregelt. Voraussetzung für hoheitliche Maßnahmen ist gem. § 7 Abs. 2 GasSV iVm § 1 Abs. 1EnSiG, dass die Bundesregierung durch Rechtsverordnung eine Gefährdung oder Störung der Energieversorgung feststellt. Nach § 4 Abs. 3 Nr. 1EnSiG wird bei überregionalen Versorgungsengpässen, wie sie hier in Rede stehen, die Bundesnetzagentur als sog. „Lastverteiler“ zuständig. Verfügungen können gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GasSV gerichtet werden an Unternehmen und Betriebe, die Gas erzeugen, beziehen oder abgeben über die Gewinnung, Herstellung, den Bezug, die Bearbeitung, Verarbeitung, Umwandlung, Lagerung, Weiterleitung, Zuteilung, Abgabe, Verwendung, Einfuhr und Ausfuhr von Gas sowie gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 GasSV an Verbraucher über die Zuteilung, den Bezug und die Verwendung von Gas sowie den Ausschluss vom Bezug von Gas. Gem. § 1 Abs. 2, 3 GasSV können die Lastverteiler Unternehmen und Betriebe, die Gas erzeugen, beziehen oder abgeben, sowie Verbraucher durch Verfügung verpflichten, innerhalb einer bestimmten Frist bestehende Versorgungsverträge inhaltlich zu ändern, soweit das angestrebte Verhalten durch Anwendung bestehender Verträge nicht oder nicht rechtzeitig verwirklicht werden kann und dies unbedingt erforderlich ist, um eine Gefährdung oder Störung der lebenswichtigen Versorgung mit Gas zu beheben oder zu mindern. Die Abschaltung eines Versorgungsbereichs ist nach § 1Abs. 4 S. 1 GasSV nur zulässig, soweit eine Verringerung der Leistung oder sonstige Maßnahmen nicht ausreichen, um einen über den Versorgungsbereich hinausgehenden Netzzusammenbruch zu verhindern oder zu beheben. Hierbei darf nach § 1 Abs. 4 S. 2 GasSV die Deckung des Gasbedarfs zur Erfüllung öffentlicher und anderer für die Bevölkerung lebenswichtiger Aufgaben so wenig wie möglich beeinträchtigt werden.

Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass hoheitliche Maßnahmen zum Zwecke der Regelung bzw. der Unterbrechung der Gasversorgung durch die zuständige Bundesnetzagentur erst ergriffen werden können, nachdem die Bundesregierung durch Verordnung ausdrücklich festgestellt hat, dass die Energieversorgung gefährdet oder gestört ist. Zu einer Einschränkung der Gasversorgung kann es erst aufgrund einer entsprechenden Verfügung durch die Bundesnetzagentur als zuständiger Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kommen.

III. Deckungskonzepte der Betriebsunterbrechungsversicherungen

  1. Primäre Leistungsbeschreibungen

In der einfachen Betriebsunterbrechungsversicherung sind Unterbrechungsschäden nur unter engen Voraussetzungen gedeckt. So muss regelmäßig die Betriebsunterbrechung durch einen Sachschaden verursacht werden, der seinerseits Folge einer versicherten Gefahr sein muss. Versicherte Risiken sind regelmäßig nur Brand, Blitzschlag, Explosion sowie Anprall oder Absturz eines Luftfahrzeugs, seiner Teile oder seiner Ladung. Der zum Ertragsausfallschaden führende Sachschaden darf i. d. R. zudem nicht irgendwo, sondern muss an dem im Vertrag benannten Versicherungsort eingetreten sein. In der hier interessierenden Fallkonstellation des Gaslieferstopps besteht in der einfachen Betriebsunterbrechungsversicherung somit ersichtlich allein schon deshalb kein Versicherungsschutz, weil sich keine der versicherten Gefahren verwirklicht hat und es darüber hinaus auch an einem Sachschaden am Versicherungsort fehlen wird.

Auf dem Markt sind aber auch Versicherungen mit einer weitergehenden Deckung verfügbar, die innerhalb moderner Lieferketten das Risiko einer Unterbrechung der Lieferkette an vorgelagerter Stelle für den nachgelagerten Betrieb des VN decken. Ergänzend versicherbar sind daher sog. Rückwirkungsschäden. Ein solcher Schaden liegt vor, wenn die Unterbrechung des Betriebs des VN auf einem Sachschaden in einer betriebsfremden Betriebsstätte eines Dritten, namentlich von unabhängigen Zulieferern oder Abnehmern, beruht, mit denen der VN eine laufende Geschäftsverbindung unterhält. Voraussetzung ist jedoch auch hier, dass der eingetretene Sachschaden durch eine der o. g. Gefahren, wenn auch an anderem Ort, verursacht wurde. Im Rahmen der Allgemeinen Bedingungen für die Versicherung zusätzlicher Gefahren zur Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung (ECBUB 2010) können zwar weitere als die o. g. Risiken versichert werden, für diese ist jedoch die Versicherung von Rückwirkungsschäden in den Musterbedingungen nicht vorgesehen. Zudem ist nicht eine Störung in der Lieferkette durch irgendeinen Vorlieferanten gedeckt, sondern, wie sich aus dem dort geregelten Erfordernis der laufenden Geschäftsverbindung ergibt, nur beim Vertragspartner des VN.

Da die Standard-Bedingungswerke der Produktion in modernen Lieferketten nicht ausreichend Rechnung tragen, bieten VR auch die Absicherung des Produktionsausfallrisikos ganzer Lieferketten an (sog. „Supply-Chain-Versicherung“). Diese Versicherungen decken in Abhängigkeit von der konkreten vertraglichen Ausgestaltung Rückwirkungsschäden unabhängig davon ab, an welcher Stelle in der Lieferkette eine Störung eingetreten ist, wobei auch hier Sachschäden notwendige Voraussetzung sein können, aber nicht müssen. Denkbar ist, dass im Rahmen von Rückwirkungs- oder Supply-Chain-Versicherungen bei Vorlieferanten infolge Gasmangels der erforderliche Sachschaden eintritt, etwa weil dort Schmelzöfen irreparabel aushärten. Kann der VN die vertragsgemäßen Teilprodukte von dort nicht mehr beziehen und erleidet deshalb einen Betriebsunterbrechungsschaden, kommt ein versicherter Rückwirkungsschaden in Betracht, sofern der Versorgungsausfall – etwa im Rahmen einer All-Risk-Police – versichert ist. Es kommt dann aber darauf an, welche Risikoausschlüsse im Vertrag vereinbart sind und ob diese eingreifen. Üblicherweise sind Schäden durch Terrorismus, Kernenergie, Produktrückrufe sowie – was hier ernsthaft in Betracht kommt – durch Krieg (s. dazu sogleich sub. III.2. b) ausgeschlossen.

Der Ausfall der öffentlichen Versorgung mit Gas, wie auch mit Strom oder Wasser, kann allerdings im Rahmen gesonderter Bedingungswerke wie den Allgemeinen Bedingungen für die Maschinen-Betriebsunterbrechungsversicherung (AMBUB 2011) durch die gesondert zu vereinbarende Klausel TK 4980 ausdrücklich versichert werden. Nach A. § 1 Nr. 1 AMBUB 2011 leistet der VR lediglich Entschädigung für den Unterbrechungsschaden, der dadurch entsteht, dass die technische Einsatzmöglichkeit von im Versicherungsvertrag bezeichneten betriebsfertigen Sachen, namentlich Maschinen, infolge eines an diesen Sachen innerhalb des Versicherungsortes eingetretenen Sachschadens unterbrochen oder beeinträchtigt wird. Gemäß Klausel TK 4980 Nr. 1 lit. a) aa) leistet der VR Entschädigung für einen Unterbrechungsschaden, der dadurch entsteht, dass der im Versicherungsvertrag bezeichnete Betrieb des VN infolge eines Sachschadens an den Einrichtungen der öffentlichen Versorgung mit Strom unterbrochen oder beeinträchtigt wird, wobei der Unterbrechungsschaden infolge eines Sachschadens an den Einrichtungen der öffentlichen Versorgung mit Gas überdies besonders vereinbart werden muss. Auch diese Klausel erfasst den hier zu beurteilenden Lieferstopp jedoch nicht, da Voraussetzung ein „Sachschaden an den Einrichtungen der öffentlichen Versorgung“ ist, an dem es bei einem bloßen Lieferstopp fehlt. Der Deckungsumfang kann indes durch Klausel TK 4980 Nr. 5 lit. a) noch weiter ausgedehnt werden. Danach sind – sofern im Versicherungsvertrag gesondert vereinbart – zusätzlich zu Nr. 1 a) aa) auch Unterbrechungsschäden infolge von Ausfällen der öffentlichen Versorgung aufgrund sonstiger Ursachen versichert. Da TK 4980 Nr. 1 a) aa) ausdrücklich einen „Sachschaden an den Einrichtungen der öffentlichen Versorgung“ voraussetzt, folgt aus der Systematik, dass in Klausel TK 4980 Nr. 5 a) ein „Sachschaden“ an Einrichtungen der öffentlichen Versorgung gerade nicht erforderlich ist, sondern eine beliebige Ursache genügt. Die Versicherung des Ausfalls der Versorgung unabhängig von einem Sachschaden wird auch als „Störfalldeckung“ bezeichnet, ohne dass die AMBUB diesen Begriff allerdings verwenden. Ein Unterbrechungsschaden aufgrund Lieferstopps fällt daher unter die primäre Leistungsbeschreibung, wenn die Geltung der Klausel TK 4980 zu den AMBUB 2018, zusätzlich ausdrücklich die Erweiterung für die Gasversorgung gemäß TK 4980 Nr. 1 lit. a) aa) und überdies die Geltung von Nr. 5 a) (sonstige Ursache) vereinbart ist.

  1. Ausschlusstatbestände

Der Versicherungsschutz darf aber nicht durch die besonderen Ausschlusstatbestände der Klausel TK 4980 Nr. 5 c) ausgeschlossen sein. Danach leistet der VR ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen keine Entschädigung für Unterbrechungsschäden infolge von

aa) Abschaltungen von Einrichtungen der öffentlichen Versorgung die planmäßig von Versorgungsunternehmen herbeigeführt werden; hierzu zählen auch alle Maßnahmen die der Sicherung der Netzstabilität dienen;

bb) Streik, Aussperrung;

cc) Krieg, kriegsähnliche Ereignisse, Bürgerkrieg, Revolution, Rebellion, Aufstand;

dd) Inneren Unruhen;

ee) Kernenergie, nukleare Strahlung oder radioaktive Substanzen;

gg) Programmen oder Dateien mit Schadenfunktion, Programmfehlern oder Denial-of-Service-Attacken

Vorliegend kommt ein Leistungsausschluss nach lit. aa) und lit. cc) ernsthaft in Betracht.

a) Auslegung von Risikoausschlüssen in AVB

Nach ständiger höchstrichterlicher Rspr. sind AVB so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind. Bei einer Risikoausschlussklausel ist zu berücksichtigen, dass das Interesse des VN in der Regel dahin geht, dass der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Daher braucht der durchschnittliche VN nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlussklauseln nach st. Rspr. des BGH eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert.

b) Kriegsausschluss

aa) Kriegsbegriff

Der sog. Kriegsausschluss wird in gängigen Bedingungswerken spartenübergreifend verwendet und findet neben Sachversicherungen insbesondere auch bei Personenversicherungen wie der Unfall- und der Lebensversicherung sowie in der Rechtsschutzversicherung Verwendung. Der Grund für den Ausschluss von Krieg und kriegerischen Ereignissen liegt in der unkalkulierbaren Risikokumulation, die eine Beherrschung des Kriegsrisikos mit den hergebrachten versicherungstechnischen Methoden unmöglich macht und die die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge gefährdet. Für den durchschnittlichen VN ist erkennbar, dass das berechtigte wirtschaftliche Interesse des VR darin besteht, solche unbeherrschbaren Kumulrisiken auszuschließen.

Unter Krieg wird in der versicherungsrechtlichen Literatur nach ganz h. M. die mit Waffengewalt ausgetragene, nicht notwendig durch eine formelle Kriegserklärung eingeleitete Auseinandersetzung zwischen größeren Gruppen, in der Regel Staaten oder Völkern, verstanden. Eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Staaten, in welcher mit konventionellen Waffen gekämpft wird und Streitkräfte auf fremdes Territorium vorstoßen, erfüllt jedenfalls den Kriegsbegriff. Nach einer vereinzelt gebliebenen Auffassung soll es auf das Vorliegen von Krieg im völkerrechtlichen Sinne ankommen. Dafür ist – über bewaffnete Kampfhandlungen hinaus – ein formaler staatlicher Akt in Form einer Kriegserklärung erforderlich. Richtigerweise kann nach dem Verständnis eines durchschnittlichen VN das Eingreifen der Ausschlussklausel nicht davon abhängen, ob eine Kriegserklärung vorliegt. Wie bereits die Presseberichterstattung zeigt, wird das Geschehen in der Ukraine umgangssprachlich ohne Weiteres als „Krieg“ verstanden, insbesondere unabhängig davon, ob die Geschehnisse von staatlicher Stelle bewusst als „militärische Spezialoperation“ bezeichnet werden. Auf die Bedeutung eines Begriffs in der Rechtssprache kommt es im Übrigen ausnahmsweise nur dann an, wenn der Begriff in seinen Konturen eindeutig festgelegt ist; rechtsdogmatische Erwägungen kann der durchschnittliche VN nicht anstellen. Selbst im Völkerrecht existiert jedoch keine eindeutige Definition; der Kriegsbegriff wird seit der jüngeren Vergangenheit durch den Begriff des bewaffneten internationalen Konflikts ersetzt. Der für den durchschnittlichen VN erkennbare Sinn und Zweck der Klausel besteht ersichtlich darin, den VR und das Versichertenkollektiv vor unkalkulierbaren Kumulschäden infolge militärischer Waffengewalt zu schützen. Dafür kommt es aber erkennbar nicht darauf an, ob dem eine förmliche (Kriegs-)Erklärung vorausgegangen ist. Auf Basis der ganz h. M. unterfällt der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine daher ohne weiteres dem versicherungsrechtlichen Begriff „Krieg“. Es liegt eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen zwei Staaten vor, die mit konventionellen Waffen und unter Einsatz von Kampftruppen auf dem Gebiet eines angegriffenen Staates geführt wird.

bb) Kausalität des Krieges für den Unterbrechungsschaden

Die in Rede stehenden Schäden müssen ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen auch infolge von Krieg versursacht worden sein. Die Wendung „ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen“ versteht der durchschnittliche VN so, dass für das Eingreifen des Risikoausschlusses unerheblich ist, ob andere versicherte Ursachen bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt haben. Die Kausalität ist auch im Versicherungsrecht grundsätzlich nach dem Adäquanzzusammenhang zu bestimmen. Danach kommt es darauf an, ob ein Verhalten im Allgemeinen und nicht nur unter ganz besonders ungewöhnlichen, nach dem regelmäßigen Verlauf nicht erwartbaren Umständen zur Herbeiführung des eingetretenen Erfolgs geeignet gewesen ist, wobei der Schutzzweck der verletzten Verhaltensnorm zusätzlich zu berücksichtigen ist. Für die Auslegung eines Risikoausschlusses gelten zudem die oben dargestellten Grundsätze.

Die praktische Bedeutung der Frage, welche Schäden adäquat-kausal „durch Krieg“ verursacht wurden, war in der Vergangenheit gering. Der BGH hat in zwei Entscheidungen aus dem Jahre 1951 im Anschluss an den OGH darauf abgestellt, ob für versicherte Sachen eine „anormale ganz erheblich erhöhte Gefahrenlage“ entstanden sei, die in ihrem Eintritt und Ablauf unberechenbar gewesen sei und der mit dem Einsatz „normaler Mittel“ nicht mehr habe begegnet werden können. Das Eingreifen des Kriegsausschlusses sei gerechtfertigt, wenn der Schadensfall adäquat auf die durch Krieg entstandene besondere Gefahrenlage zurückgeführt werden kann. Ein solcher Kausalzusammenhang bestehe bei der Inbrandsetzung eines Gebäudes durch kriegsbedingt eingewiesene ausländische Zwangsarbeiter ebenso wie bei einem Brandschaden infolge kriegsbedingter Beeinträchtigung des „Feuerlöschwesens“. Auch wurde eine adäquat kausale Schadensverursachung in einem Fall bejaht, in dem im Krieg nach Deutschland verschleppte ausländische Staatsangehörige nach ihrer Freilassung den Versicherten getötet haben. Durch die Verschleppung im Krieg sei im Hinblick auf Gewalttaten in der Bevölkerung eine besondere Gefahrenlage geschaffen worden. Ebenso hat das Reichsgericht den Fall beurteilt, dass ein zum Zwecke der Landesverteidigung im Krieg eingesetzter Wachposten während des Krieges unabhängig von Kriegshandlungen durch einen geistig Verwirrten erschossen wurde. Demgegenüber wurde ein Schaden, der einem Kriegsgefangenen in einem Bergwerk zustieß, nicht als kriegsbedingt angesehen, da bergwerkspezifische Risiken sich auch in Friedenszeiten grundsätzlich jederzeit hätten realisieren können. Auch ein durch leichtsinnige Fahrweise verursachter Verkehrsunfall, durch den ein beförderter Kriegsgefangener getötet wurde, beruhe nicht auf einer kriegsspezifischen, sondern einer alltäglichen Gefahr. Ebenso wurde der Fall beurteilt, dass ein auf einem Lkw mitfahrender Versicherter durch einen amerikanischen Brückenposten erschossen wurde, weil der Fahrer versehentlich nicht gehalten hatte. Die teils sehr alte Rspr. berücksichtigt allerdings denknotwendig nicht die vom BGH entwickelten Auslegungsgrundsätze nach dem Maßstab des durchschnittlichen VN und kann daher nicht ohne Weiteres zur Interpretation aktueller AVB herangezogen werden.

Auch in der jüngeren Rspr. wurde darauf abgestellt, ob der in Rede stehende Schaden auf einer besonderen, kriegsbedingten Risikolage beruht. Sei der Krieg für einen bestimmten Schadensfall nur ein zufälliges Moment, fehle die erforderliche Adäquanz. So hat LG München I angenommen, dass die Verletzung eines Bundeswehrsoldaten in Afghanistan durch einen Bombenanschlag wegen des Kriegsausschlusses nicht von seiner Unfallversicherung gedeckt sei, da dort wenigstens Bürgerkrieg geherrscht habe, der wiederum Bombenanschläge ausgelöst habe. Nach Ansicht des LG Bielefeld wurde ein räuberischer Überfall auf einen LKW-Fahrer in Kroatien im Jahre 1992, bei dem der Fahrer einer bewaffneten Miliz übergeben und in ein Kriegsgefangenenlager verbracht wurde, durch Kriegsereignisse verursacht. In der jüngeren rechtswissenschaftlichen Literatur wird in Übereinstimmung mit der älteren Rspr. allgemein angenommen, dass der eingetretene Schaden adäquate Folge des Kriegs sein muss, wobei sich aber zusätzlich ein kriegsspezifisches, besonderes Risiko verwirklicht haben muss; das Risiko ist kriegsspezifisch, wenn es kriegsbedingt gegenüber den allgemeinen unabhängig vom Krieg gegebenen Verhältnissen erhöht war.

Zu den ausgeschlossenen, kriegsspezifischen Kriegsschäden zählen freilich Verletzungen durch Waffen kämpfender Soldaten. Andererseits brauchen Schäden nicht notwendig durch Kampfhandlungen im engeren Sinne verursacht worden sein. Das spezifische Risiko des Krieges kann sich nach überwiegender Ansicht in zeitlicher Hinsicht auch noch nach Kriegsende verwirklichen, sofern der Schaden auf die kriegsmäßig erhöhte Gefahrenlage zurückzuführen ist. Einen solchen Fall hat die Rspr. beispielsweise bei einer Verletzung durch Explosion einer unentdeckt gebliebenen Handgranate bejaht oder in einem ein Jahr nach der Kapitulation eingetretenen Unglücksfall, als ein Schiff durch eine Mine zerstört wurde. An der Realisierung einer Gefahr aus einer spezifisch kriegsbedingt erhöhten Risikolage fehlt es aber mit zunehmendem zeitlichen Abstand eines Schadenereignisses vom Kriegsende; der Zweck, VR vor unkalkulierbaren Kumulschäden zu bewahren, wird dann nämlich nicht mehr tangiert. Die Explosion einer Weltkriegsbombe Jahrzehnte nach Kriegsende wird daher nicht vom Risikoausschluss erfasst. Nach allgemeiner Meinung setzt der Kriegsausschluss nicht voraus, dass der Schaden im eigentlichen Kriegsgebiet eintritt; auch außerhalb dieses Gebiets oder außerhalb des Staatsgebiets der beteiligten Staaten eingetretene Schäden können als adäquat kausale Folge ausgeschlossen sein.

Im Folgenden soll zunächst soll der Fall betrachtet werden, dass allein aufgrund politischer Entscheidungen die Gasversorgung aus Russland eingestellt wird, im Anschluss daran der Fall, dass typische kriegsbedingte Schäden im Kriegsgebiet zu einer Beschränkung der Versorgung führen.

(1) Wegfall der Versorgung mit russischem Gas aufgrund politischer Entscheidungen

Eine durch politische Entscheidung gezielt verursachte Reduktion der Gasliefer- oder -abnahmemenge beruht kausal auf dem Krieg. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die Europäische Union möglicherweise ein Gasembargo gegen Russland beschließt, als auch für den Fall, dass Russland seinerseits – aus welchen Gründen auch immer – die Belieferung Deutschlands mit Gas einstellt oder wesentlich einschränkt. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine hätte nämlich diese politischen Entscheidungen in Gestalt von Wirtschaftssanktionen und etwaigen Gegenmaßnahmen provoziert. Wie oben dargelegt braucht der hier in Rede stehende Unterbrechungsschaden auch nicht etwa im Kriegs- oder Operationsgebiet selbst eingetreten zu sein. Der Klauselwortlaut verlangt nicht, dass am Versicherungsort Krieg geherrscht haben muss, sondern knüpft schlechthin an Krieg an. Ein auf politischen Entscheidungen beruhender Gasimport- oder -lieferstopp beruhte auch adäquat-kausal auf dem Ukraine-Krieg. Dass am Krieg nicht unmittelbar beteiligte Drittstaaten auf kriegerische Handlungen anderer Staaten mit Wirtschaftssanktionen reagieren, stellt keinen ganz ungewöhnlichen Kausalverlauf dar, mit dem nach der Lebenserfahrung nicht gerechnet werden könnte, sondern im Gegenteil eine typische politische Reaktion, mit welcher in Kriegshandlungen nicht involvierte Staaten den Kriegsverursacher wirtschaftlich zu schwächen versuchen. Ein Gasembargo als Teil solcher Sanktionen wäre daher – wie auch die öffentliche Diskussion zeigt – eine erwartbare, typische Reaktion. Ebenso erwartbar ist nach der Lebenserfahrung, dass der sanktionierte Staat mit Gegenmaßnahmen reagiert. Solche ergriff Russland bereits im Jahre 2014 in Gestalt von Importverboten für Lebensmittel und Agrarprodukte als Reaktion auf die von westlichen Ländern verhängten Wirtschaftssanktionen. Dass mit dem Stopp der Energielieferung von russischer Seite das schärfste Schwert gezogen werden könnte, erscheint daher zumindest als möglich.

Ein Gasimport- oder -lieferstopp beruhte jedoch gerade nicht auf einer spezifischen kriegsbedingten Gefährdungslage. Der durchschnittliche VN, der eine Betriebsunterbrechungsversicherung abgeschlossen hat, kann – bei dem eng auszulegenden Ausschlusstatbestand – nicht erkennen, dass Versorgungslücken, die durch gezielt getroffene politische Entscheidungen verursacht werden und lediglich im Zusammenhang mit Krieg stehen, von dem Ausschluss erfasst sein sollen. Insofern verwirklichte sich nämlich nicht das spezifische Risiko, vor dem der Kriegsausschluss aus Sicht des durchschnittlichen VN den VR schützen soll. Staatliche Entscheidungen, den Import oder Export von Gas zu stoppen, wären lediglich aus Anlass des Krieges getroffen worden. Zwar drohen bei einem Gaslieferstopp Kumulschäden unkalkulierbaren Ausmaßes; diese wären jedoch nicht spezifische Folge eines konventionellen Kriegs und den damit verbundenen Kampfhandlungen. Die Verhängung von Wirtschaftssanktionen und als Reaktion darauf veranlasste politische Gegenmaßnahmen müssen nämlich nicht notwendig auf Kriegen, insbesondere nicht auf Kampfhandlungen beruhen. Eine politische Diskussion über ein Öl- oder Gasembargo sowie die Einstellung von Energielieferungen hätte ebenso in Friedenszeiten durch politischen Streit aus anderen Gründen veranlasst werden können, insbesondere über die Wahrung von Menschenrechten im Zusammenhang mit der Verfolgung politisch anders Denkender. Eine politische Entscheidung, die Abhängigkeit von russischem Gas zu reduzieren, wurde schon spätestens seit der Krimannexion im Jahre 2014 diskutiert, insbesondere der vollständige Stopp von Nord-stream-II. Dass der Lieferstopp nicht spezifische Folge einer kriegsbedingt erhöhten Gefahr wäre, zeigt sich allein schon daran, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt, mehr als drei Monate nach Kriegsbeginn, die Lieferungen russischen Gases weitgehend unverändert fortgesetzt werden. Ein kriegsspezifischer Zusammenhang kann auch nicht dadurch hergestellt werden, dass eine etwaige Entscheidung, den Import russischen Gases einzustellen, von der Absicht getragen sein könnte, die finanziellen Mittel für die Fortsetzung des Krieges und damit der Kampfhandlungen zu beschneiden. Mit derselben Erwägung könnten nämlich schon im Vorfeld eines nur drohenden Krieges entsprechende politische Entscheidungen getroffen werden, um einen Angriff von vornherein abzuwenden. In diesem hypothetischen Fall fehlte es sogar bereits an einem Krieg, so dass eine inhaltsgleiche politische Entscheidung sich nicht zugleich als kriegsspezifische Folge darstellen kann. Bei der Auslegung des Kriegsausschlusses ist zudem zu berücksichtigten, dass nach der jüngsten Rspr. des BGH zum notwendigen Kausalzusammenhang bei Risikoausschlüssen nur mittelbare Ursachen nicht ohne Weiteres genügen. So hat der BGH zu dem Risikoausschluss „durch Sturmflut“ in § 8 Nr. 4 a) bb) ECB 2010 entschieden, dass der durchschnittliche VN der Regelung nicht entnehmen könne, dass nicht nur unmittelbar durch eine Sturmflut verursachte Schäden, sondern auch solche Schäden, die sich lediglich als mittelbare Auswirkungen einer derartigen Sturmflut darstellen, von dem Ausschlusstatbestand erfasst würden. Der durchschnittliche VN kann nicht erkennen, dass Unterbrechungsschäden, die durch politische Entscheidungen verursacht werden, die lediglich aus Anlass eines Kriegs getroffen werden, vom Versicherungsschutz ausgenommen werden sollen. Ein Unterbrechungsschaden infolge einer Reduzierung oder eines Abbruchs der Versorgung mit russischem Gas aufgrund einer politischen Entscheidung wird daher nicht vom Kriegsausschluss erfasst.

(2) Kriegsbedingte Beschädigung von Infrastruktur im Kriegsgebiet

Eine kriegsbedingt geschaffene, erhöhte Gefährdungslage realisierte sich jedoch dann, wenn die zum Gastransport erforderliche Infrastruktur kriegsbedingt beeinträchtigt würde. Dies wäre namentlich der Fall, wenn Transitleitungen durch Waffengewalt beschädigt oder zerstört würden oder wenn Kampftruppen den Gastransit mit militärisch-technischen Mitteln unterbrechen. Allerdings muss sich eine spezifische kriegsbedingte Gefährdungslage gerade im Hinblick auf das versicherte Risiko realisiert haben. Hier steht nicht Versicherungsschutz für (Sach-)Substanzschäden an Gaspipelines, sondern für reine Vermögensschäden durch den Ausfall der Gasversorgung am Versicherungsort in Rede. Es fragt sich daher, ob es aus Sicht des durchschnittlichen VN genügt, dass unabhängig vom Versicherungsort irgendwo auf der Welt Krieg geführt wird und durch die daraus folgende Beschränkung der am Weltmarkt verfügbaren Gasmenge Unterbrechungsschäden eintreten, sei es, dass an irgendeinem Ort Pipelines beschädigt werden oder dass zum Transport von Flüssiggas bestimmte Schiffe kriegsbedingt zerstört werden. Das Versorgungsrisiko kann sich nämlich ebenso gut durch eine Vielzahl anderer Gefahren, etwa Naturkatastrophen, realisieren. Wie oben dargelegt setzt der Kriegsausschluss nach allgemeiner Meinung indes nicht voraus, dass Krieg am Versicherungsort herrscht oder wenigstens der Staat am Krieg beteiligt ist, in dem die versicherte Sache belegen ist. Der durchschnittliche VN kann dem Wortlaut eine solche lokale Beschränkung auch nicht entnehmen. Er kann aber erkennen, dass das Versorgungsrisiko auch durch andernorts stattfindenden Krieg wesentlich erhöht sein kann und dass der VR für ein solches Risiko nicht einstehen möchte. Auch die weiteren Ausschlusstatbestände wie Streik oder Aussperrung, Bürgerkrieg, Revolution, Rebellion und Aufstand, innere Unruhen oder Kernenergie und nukleare Strahlung setzen nicht einen unmittelbaren Bezug zum Versicherungsort voraus.

Fraglich ist allerdings, ob der Zurechnungszusammenhang zwischen spezifischer Kriegsgefahr und Unterbrechungsschaden dadurch unterbrochen würde, dass die Betriebsunterbrechung nicht ohne weiteres durch Gasmangel verursacht würde, sondern nach den oben im Einzelnen dargestellten gesetzlichen Regelungen erst infolge einer behördlichen Maßnahme der Bundesnetzagentur aufgrund konkreter gesetzlicher Vorgaben zur Priorisierung von Abnehmern einträte. Nach den im Schadensrecht geltenden Grundsätzen kommt eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs nicht grundsätzlich, aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Schaden erst durch das rechtmäßige oder rechtswidrige Dazwischentreten eines Dritten verursacht wird. Dabei kommt es auch auf das Ausmaß der Herrschaft des Dritten über den konkreten Geschehensablauf an. Nach der Rspr. des BGH zum Schadensrecht fehlt es am Zurechnungszusammenhang in derartigen Fällen nur, wenn die Folgeursache den Geschehensablauf so verändert hat, dass der Schaden bei wertender Betrachtung nur noch in einem äußerlichen, gleichsam zufälligen Zusammenhang zu der durch die erste Ursache geschaffenen Gefahrenlage steht. Wirken in dem eingetretenen Schaden die besonderen Gefahren fort, die durch die erste Ursache gesetzt wurden, kann der haftungsrechtliche Zusammenhang nicht verneint werden. So hat der BGH den erforderlichen Zurechnungszusammenhang insbesondere in dem Fall bejaht, dass ein Stromkabel eines Netzbetreibers beschädigt und hierdurch die Versorgung von Letztverbrauchern unterbrochen wird mit der Folge, dass die Bundesnetzagentur aufgrund gesetzlicher Vorgaben und nach Ausübung eigenen Ermessens die sog. Netzzuverlässigkeit des geschädigten Netzbetreibers reduziert und die sog. Erlösobergrenzen herabsetzt, was zu einem finanziellen Nachteil des Netzbetreibers führt. Wenngleich in der hier zu beurteilenden Konstellation die Herrschaft über die Einstellung von Versorgungsleistungen ausschließlich bei der Bundesnetzagentur liegt und durch politische oder behördliche Maßnahmen die Priorisierung unter den Endabnehmern festgelegt werden kann, so ändert dies dennoch nichts daran, dass entsprechende behördliche Maßnahmen im Einzelfall notwendige Folge des kriegsbedingten Versorgungseinbruchs wären. Derartige Entscheidungen wären insbesondere nicht nur aus Anlass des Kriegs getroffen worden oder stünden hierzu in einem nur zufälligen Zusammenhang. Dies kann bei der gebotenen engen Auslegung des Risikoausschluss auch der durchschnittliche VN erkennen. Denn schon nach allgemeinem Sprachgebrauch beruhten Lieferengpässe und Versorgungslücken – wie auch die öffentliche Diskussion zeigt – auf dem Ukraine-Krieg. Die zwischen Krieg und Beschränkung der Versorgung tretende behördliche Maßnahme der Bundesnetzagentur wäre aus Sicht des durchschnittlichen VN lediglich ein notwendiger Zwischenschritt der zwangsläufig durch Krieg hervorgerufenen, möglichen Versorgungskrise.

cc) Zwischenergebnis

Der Kriegsausschluss greift daher ein, wenn Kriegsschäden im Kriegsgebiet zu einer Rationierung der Gasversorgung im Inland führen und hierdurch Unterbrechungsschäden eintreten, nicht aber, wenn infolge politischer Entscheidungen die Belieferung mit Gas beschränkt wird.

c) Planmäßige Abschaltung

Nach Nr. 5 lit. c) aa) Klausel TK 4980 zu den AMBUB 2018 leistet der VR ohne Rücksicht auf mitwirkende Ursachen keine Entschädigung für Unterbrechungsschäden infolge von Abschaltungen von Einrichtungen der öffentlichen Versorgung, die planmäßig von Versorgungsunternehmen herbeigeführt werden; hierzu zählen auch alle Maßnahmen, die der Sicherung der Netzstabilität dienen. Der vorgenannte Risikoausschluss hat – soweit ersichtlich – bislang weder in der Rspr., noch in der Literatur besondere Beachtung erfahren.

Der durchschnittliche VN versteht den Wortlaut der Klausel zunächst so, dass Schäden infolge einer planmäßig herbeigeführten Abschaltung einer Versorgungseinrichtung durch das Versorgungsunternehmen nicht versichert sein sollen. Nach dem erkennbaren Zweck sollen damit planmäßige Versorgungsunterbrechungen von ungeplanten abgegrenzt werden. Der VN erkennt somit, dass nur solche Ereignisse versichert sind, die auch für das jeweilige Versorgungsunternehmen ungeplant sind, mithin unerwartete ggf. auch plötzliche Ereignisse, insbesondere unerwartete Störfälle. Dem Begriff „Abschaltung“ entnimmt der durchschnittliche VN, dass es sich um eine vom Versorgungsunternehmen aktiv gesteuerte, zielgerichtete Maßnahme handeln muss. Hierin wird der durchschnittliche VN durch die gesondert aufgeführten („auch“) Maßnahmen der Netzstabilität bestärkt, bei denen es sich gleichfalls um geplante, zielgerichtete, wenngleich auch eilbedürftige, sehr kurzfristig zu treffende Maßnahmen handelt. Neben der möglicherweise sehr kurzfristig zu ergreifenden Maßnahme der Sicherung der Netzstabilität sind daher auch lang- oder längerfristig geplante Abschaltungen ausgeschlossen, sofern sie von dem jeweiligen Energieversorgungsunternehmen selbst vorgenommen werden. Der durchschnittliche VN wird darunter insbesondere Wartungs- oder Reparaturarbeiten fassen. Den Sinn und Zweck der Reglung wird der durchschnittliche VN darin sehen, dass der VR zwar für unvorhergesehene, plötzlich auftretende Störungen der Energieversorgung einstehen will, nicht aber auch für vom Versorgungsunternehmen gezielt herbeigeführte Versorgungsunterbrechungen.

Das Wort „planmäßig“ wird der durchschnittliche VN nach dem erkennbaren Zusammenhang auf den Akt der „Abschaltung“ und damit allein auf diesen technischen Vorgang beziehen. Nicht entscheidend ist daher, ob das Versorgungsunternehmen zwar planmäßig die Energieversorgung abschaltet, dem aber für das Versorgungsunternehmen eine unerwartete, unplanmäßige Ursache, etwa ein unerwarteter Mangel an Energieträgern, vorausgegangen ist.

Danach greift der Risikoausschluss in der hier zu beurteilenden Konstellation unabhängig vom Kriegsausschluss ein. Wie oben im Einzelnen dargestellt, würde die Bundesregierung in dem Fall, dass nicht für alle Endabnehmer ausreichend Gas zur Verfügung steht, eine Rechtsverordnung erlassen, die die Bundesnetzagentur ermächtigen würde, ihrerseits hoheitliche Maßnahmen zur gezielten Verteilung der zur Verfügung stehenden Gasmenge zu ergreifen. Erst nach Erlass entsprechender Verwaltungsakte würden einzelne Endabnehmer von der Gasversorgung getrennt werden. Aufgabe der Versorgungsunternehmen ist es, durch Abschaltungen die Verwaltungsakte umzusetzen. Eine Situation derart, dass plötzlich, ohne planmäßiges, zielgerichtetes Agieren von Versorgungsunternehmen, Endabnehmern kein Gas mehr zur Verfügung gestellt würde, kann jedenfalls in Umsetzung des Notfallplans Gas gerade nicht eintreten. Dann aber liegt stets eine planmäßig herbeigeführte Abschaltung iSv Nr. 5 lit c) aa) Klausel TK 4980 zu den AMBUB 2018 vor, so dass der Risikoausschluss eingreift.

IV. Zusammenfassung in Thesen

  1. Eine versicherungsrechtliche Deckung von Betriebsunterbrechungsschäden infolge Gaslieferstopps kommt unabhängig vom Eingreifen von Risikoausschlussklauseln in Betriebsunterbrechungsversicherungen regelmäßig schon deshalb nicht in Betracht, weil es an dem erforderlichen Sachschaden mit daraus resultierenden Unterbrechungsschaden infolge einer benannten versicherten Gefahr fehlt.
  2. In Supply-Chain-Versicherungen kann dieses Risiko vorbehaltlich des Eingreifens von Risikoausschlüssen in Abhängigkeit vom individuell vereinbarten Bedingungswerk u. U. gedeckt sein. In der Störfallversicherung für Gas (Klausel TK 4980 zu den AMBUB 2018 mit Erweiterung auf die Gasversorgung und sonstige Schadensursache) stellt der Ausfall der Gasversorgung und daraus resultierende Unterbrechungsschäden grundsätzlich ein versichertes Ereignis dar.
  3. Der Risikoausschluss „durch Krieg“greift mangels Realisierung der spezifischen Kriegsgefahr nicht ein, wenn Krieg – hier der Ukraine-Krieg – lediglich den Anlass gibt, durch politische Entscheidungen in Form eines Embargos oder von Wirtschaftssanktionen den Bezug oder die Lieferung von Gas einzustellen. Der Risikoausschluss ist jedoch erfüllt, wenn spezifische kriegsbedingte Schäden im Kriegsgebiet die Ursache für eine Lieferunterbrechung am Versicherungsort bilden, auch wenn die Unterbrechung der Gasversorgung auf einem zuvor erlassenen Verwaltungsakt der Bundesnetzagentur beruht.
  4. Der Risikoausschluss der „geplanten Abschaltung“stellt für den durchschnittlichen VN erkennbar ausschließlich auf den technischen Vorgang des Abschaltens ab, unabhängig davon, aus welchem Anlass eine solche Abschaltung erfolgt. Der Risikoausschluss greift daher ein, wenn durch gezielte Maßnahmen der Bundesnetzagentur die Versorgung mit Gas eingestellt oder beschränkt wird und hierdurch ein Unterbrechungsschaden eintritt.

1 https://de.statista.com/infografik/26914/anteil-der-russischen-gasimporte-am-inlaendischen-gasverbrauch-nach-laendern/, zuletzt abgerufen am 16.5.2022.

2 https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/gerresheimer-lohr-tettau-1. 5562702, zuletzt abgerufen am 16.5.2022.

3Notfallplan Gas der Bundesrepublik Deutschland, S. 26.

4So u. a. in A. § 1 Nr. 1 FBUB 2010.

5 So in A § 2 FBUB 2010.

6A § 4 FBUB 2010.

7Einen Überblick bietet Keil, Betriebsunterbrechungsversicherung, S. 137 ff.; s. auch Armbrüster, SpV 2014, 26 ff.; ders. VersR 2020, 577 ff.

8Klauseln für die Betriebsunterbrechungsversicherung SK BU 2010 8403 und 844.

9Armbrüster, VersR 2020, 577; Keil, Betriebsunterbrechungsversicherung, S. 113.

10 Schreier, VersR 2020, 513514.

11 Dies sind gem. § 2 ECBUB: Innere Unruhen, Böswillige Beschädigung, Streik, Aussperrung; Fahrzeuganprall, Rauch, Überschalldruckwellen; Wasserlöschanlagen-Leckage; Leitungswasser; Sturm, Hagel; Einbruchdiebstahl, Vandalismus nach einem Einbruch, Raub; Überschwemmung, Rückstau; Erdbeben; Erdsenkung, Erdrutsch; Schneedruck, Lawinen; Vulkanausbruch.

12 Armbrüster, VersR 2020, 577580.

13 Armbrüster, VersR 2020, 577580; Schreier, VersR 2020, 513514.

14 Zu weiteren Einzelheiten s. Armbrüster, VersR 2020, 577580 ff.; Keil, Betriebsunterbrechungsversicherung, S. 201 ff.; Schreier, VersR 2020, 513514.

15 Armbrüster, VersR 2020, 577580; Schreier, VersR 2020, 513514.

16 Keil, Betriebsunterbrechungsversicherung, S. 194, 195.

17 Keil, Betriebsunterbrechungsversicherung, S. 194.

18 St. Rspr. BGH, Urt. v. 26.1.2022 – IV ZR 144/21, r+s 2022, 135136; BGH, Urt. v. 26.2.2020 – IV ZR 235/19, r+s 2020, 208209; BGH, Urt. v. 11.9.2019 – IV ZR 20/18, r+s 2019, 647649.

19 St. Rspr., BGH, Urt. v. 20.5.2021 – IV ZR 324/19, r+s 2021, 398400; BGH, Urt. v. 26.2.2020 – IV ZR 235/19, r+s 2020, 208, 29.

20 Ehlers, r+s 2002, 133134; Fricke, VersR 1991, 1098; ders., VersR 2002, 6; Krahe, VersR 1991, 634; Naumann/Brinkmann, r+s 2012, 469; Rapp, VersR 2020, 136144.

21 Naumann/Brinkmann, r+s 2012, 469.

22 Dahlke, VersR 2003, 25; Ehlers, r+s 2002, 133134; Fricke, VersR 2002, 6; ders. VersR 1991, 1098; Krahe VersR 1991, 634; Rapp, VersR 2020, 136144.

23 Armbrüster, in: Prölss/Martin AFB A. § 2 Rn. 3; Ehlers, r+s 2002, 133134; Fricke VersR 1991, 1098; ders., VersR 2002, 6; Rüffer, in: HK-VVG, AFB 2010 § 2 Rn. 1, 2; Maier, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 3 ARB 2010 Rn. 18.

24 Langheid, in: Römer/Langheid, VVG, 1997, § 84 Rn 3.

25 Dietz, DÖV 2011, 465466; Ipsen, Völkerrecht, § 61 Rn. 3.

26 BGH, Urt. v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, r+s 2021, 2729.

27 Dietz, DÖV 2011, 465466; Günther, r+s 2019, 188189; Naumann/Brinkmann, r+s 2012, 469470; Wälder, Handbuch Fachanwalt VersR, 9. Kap., Rn. 797.

28 BGH, Urt. v. 27.6.2012 – IV ZR 212/10, r+s 2012, 490492; BGH, Urt. v. 12.7.2017 – IV ZR 151/15, r+s 2017, 478482; BGH, Urt. v. 26.2.2020 – IV ZR 235/19, r+s 2020, 208209; Rüffer, in: HK-VVG, AFB 2010 § 2 Rn. 1, 2.

29 Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 261.

30 Einen Überblick für die Personenversicherung bietet Schubach, r+s 2002, 177 ff.

31 BGH, Urt. v. 28.11.1951 – II ZR 7/51, BeckRS 1951, 31202583; BGH, Urt. v. 2.5.1951 – II ZR 110/50, NJW 1951, 884885.

32 OGHBrZ Köln, vom 7.10.1949 – II b ZS 67/49, NJW 1949, 95.

33 BGH Urt. v. 28.11.1951 – II ZR 7/51, BeckRS 1951, 31202583.

34 BGH, Urt. v. 2.5.1951 – II ZR 110/50, NJW 1951, 884885.

35 OGHBrZ Köln, Urt. v. 7.10.1949 – II b ZS 67/49, NJW 1949, 905; zustimmend Schubach, r+s 2002, 177178.

36 RG, Urt. v. 15.6.1917 – RGZ 90, 318320.

37 LG Stuttgart, Urt. v. 18.3.49 5 S 167/48, FHZivR 1 Nr. (U 72).

38 OGHBrZ Köln, Urt. v. 23.6.1950 – II b ZS 200/49, NJW 1950, 744.

39 OLG Bamberg VW 48, 420.

40 LG Bielefeld Schaden-Praxis 1993, 292.

41 LG München I, ZfSch 2011, 40.

42 LG Bielefeld Schaden-Praxis 1993, 292.

43 Armbrüster, in: Prölss/Martin, AFB 2010 § 2 Rn. 4; Dahlke, VersR 2003, 25; Ehlers r+s 2002, 133136; Fricke, VersR 1991, 1098; Krahe, VersR 1991, 634; Maier, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 3 ARB 2010 Rn. 18; Numann/Brinkmann, r+s 2012, 469471; Rapp, VersR 2020, 136144; Schneider, in: Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung, § 6 Rn. 62.

44 Schubach, r+s 2002, 177178.

45 Fricke, VersR 1991, 1098; ders., VersR 2002, 6.

46 Ehlers, r+s 2002, 133135; Fricke, VersR 2002, 6; Rüffer, in: HK-VVG AFB 2010 § 2 Rn. 1, 2; Schubach, r+s 2002, 177179.

47 OLG Köln VW 46, 18.

48 AG Hannover VersR 1951, 43.

49 Armbrüster, in: Prölss/Martin, § 2 AFB 2010 Rn. 5; Fricke, VersR 1991, 1098; Rapp, VersR 2020, 136143 ff.; Rüffer, in: HK-VVG, AFB 2010 § 2 Rn. 1, 2; Schneider, in: Martin/Reusch/Schimikowski/Wandt, Sachversicherung, § 6 Rn. 62; Maier, in: Harbauer, Rechtsschutzversicherung, § 3 ARB 2010, Rn. 18; a. A.: Günther, r+s 2019, 188189.

50 RGZ 90, 318; 90, 378; LG Bielefeld, Urt. v. 27.5.1993 – 6 O 35/93, Schaden-Praxis 1993, 292; Armbrüster, in: Prölss/Martin, § 2 AFB 2010 Rn. 5; Dahlke, VersR 2003, 25; Ehlers, r+s 2002, 133135; Fricke, VersR 1991, 1098; Krahe, VersR 1991, 634; Naumann/Brinkmann, r+s 2012, 469471; Rüffer, in: HK-VVG, § 2 AFB 2010, Rn. 1, 2.

51 BGH, Urt. v. 26.2.2020 – IV ZR 235/19, r+s 2020, 208, 29.

52 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 24.3.1995 – 19 U 151/94, NZV 1995, 354; Oetker, in: MünchKomm-BGB, § 249 Rn. 159.

53 BGH Urt. v. 8.5.2018 – VI ZR 295/17, BeckRS 2018, 14696 Rn. 27; BGH, Urt. v. 17.12.2013 – VI ZR 211/12, NJW 2014, 20292036; BGH, Urt. v. 22.9.2016 – VII ZR 14/16, NJW 2016, 37153716.

54BGH Urt. v. 8.5.2018 – VI ZR 295/17, BeckRS 2018, 14696 Rn. 29 f.Formularbeginn

Autor: Dr. Florian Dallwig. Der Autor ist als Fachanwalt für Versicherungsrecht und Notar Partner bei der Streitbörger PartGmbB in Hamm.

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