Aktuelles zum Regress des Sozialversicherungsträgers

Aktuelles zum Regress des Sozialversicherungsträgers

Der Regress des Sozialversicherungsträgers nach § 110 SGB VII ist immer wieder Gegenstand der zivilrechtlichen Auseinandersetzungen zwischen den Sozialversicherern und den Haftpflichtversicherern. Häufig geht es dabei um Großschäden, so dass es angebracht ist, sich erneut mit dem Anspruch unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung zu beschäftigen.

I. Einführung

Entstehen aufgrund eines Arbeitsunfalls Ersatzansprüche wegen eines Personenschadens des Geschädigten (oder der unterhaltsgeschädigten Hinterbliebenen) gegen den Schädiger, gehen die Ersatzansprüche, soweit sachliche und zeitliche Kongruenz besteht, gem. §§ 116, 119 SGB X auf den leistungspflichtigen Sozialleistungsträger über, überwiegend auf den Unfallversicherungsträger wegen seiner bei einem Arbeitsunfall primären Leistungszuständigkeit (§§ 26 ff. SGB VII). Der Übergang auf den Unfallversicherungsträger erfolgt fast immer bereits im Unfallzeitpunkt, auch dann, wenn zunächst nicht erkannt worden ist, dass ein Arbeitsunfall gegeben ist und beispielsweise der Krankenversicherer Leistungen erbracht hat.1

Dieser Anspruchsübergang nach § 116 SGB X kann aber ausgeschlossen („gesperrt“) sein, weil der Schädiger gem. §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert ist.2 Dieser Übergang scheitert nicht nur im Fall der „Sperrung“ der Haftung, sondern auch dann, wenn die gesperrte Haftung ausnahmsweise wieder „entsperrt“ ist (bei vorsätzlicher Schadenszufügung und bei Wegeunfall). Der Weg zur Arbeit ist noch private Tätigkeit, die aber gem. § 8 II SGB VII bereits unter Versicherungsschutz steht. Bei Wegeunfällen ist deshalb die Haftung häufig schon nicht gesperrt. Diese Entsperrung nach § 8 II SGB VII wirkt nur teilweise, nämlich nur zugunsten des Geschädigten und auch nur hinsichtlich der nicht bereits durch Sozialleistungen gedeckten Anspruchsteile. Sie wirkt nicht zugunsten aller Sozialleistungsträger; insoweit bleibt die Haftung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung (§§ 104 I 2, III, 105 I 3 SGB VII) gesperrt. Die Ansprüche des Geschädigten sind also dann immer um die ihm zustehenden kongruenten Sozialversicherungsträger-Leistungen zu kürzen. Ist aber der Arbeitgeber nicht privilegiert und zur Lohn- oder Gehaltsfortzahlung verpflichtet, gehen mit der Lohn- oder Gehaltsauszahlung die Ansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger gem. § 6 EFZG auf ihn über, soweit die Ansprüche nicht bereits durch Sozialleistungen gedeckt sind.3

Scheitert der Übergang nach § 116 SGB X auf die Sozialversicherungsträger aufgrund einer Haftungsersetzung nach den §§ 104 ff. SGB VII, ist der insoweit privilegierte Schädiger (und im Anwendungsbereich des § 115 VVG auch sein Haftpflichtversicherer4) stattdessen den Sozialversicherungsträgern (nur ihnen) nach § 110 SGB VII (früher § 640 RVO) zum Aufwendungsersatz verpflichtet, wenn die besonderen Voraussetzungen dieser Norm vorliegen: Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf das den Versicherungsfall auslösende Handeln oder Unterlassen.5 Nach § 111 SGB VII gilt das auch für den gesetzlichen Unternehmensvertreter; der Anspruch richtet sich aber immer nur gegen die vorsätzlich oder grob fahrlässig handelnde natürliche Person.6 Im Übrigen bleibt es bei der Haftungsprivilegierung, wenn nicht ausnahmsweise eine vorsätzliche Schadenszufügung gegeben ist.

Der Anspruch aus § 110 SGB VII setzt also immer voraus, dass der Schädiger haftungsprivilegiert ist.7 Steht das noch nicht mit Bindungswirkung gem. § 108 SGB VII auch gegenüber dem Schädiger fest, muss das Zivilgericht dieses nach wohl herrschender Meinung ausnahmsweise selbst entscheiden; eine Aussetzung des Verfahren gem. § 108 II SGB VII bedarf es hier nicht, weil es nicht um das Rechtsverhältnis zwischen dem Geschädigten und dem Schädiger geht, sondern um das zwischen dem Schädiger und dem Sozialversicherungsträger. Das gilt insbesondere dann, wenn der Schädiger sich selbst auf seine Privilegierung beruft.8 Weil die Zivilgerichte sich aber mit dieser sozialrechtlichen Frage eher selten zu befassen haben, muss auch der Anwalt des Sozialversicherungsträgers daran mitwirken, dass die Frage der Privilegierung erkannt und richtig entschieden wird. Ohne Feststellung der Haftungsprivilegierung kommen – das wird in der Regulierungspraxis häufig übersehen – auch bei grober Fahrlässigkeit allenfalls Ansprüche aus § 116 SGB X in Betracht; Ansprüche aus § 116 SGB X einerseits und aus § 110 SGB VII andererseits schließen sich immer gegenseitig aus.

Der Anspruch aus § 110 SGB VII ist kein Schadensersatzanspruch, sondern ein originärer, nicht aus dem Recht der Versicherten abgeleiteter und gegebenenfalls allein vor den Zivilgerichten zu verfolgender privatrechtlicher Anspruch der Sozialversicherungsträgers auf Ersatz ihrer unfallbedingten Aufwendungen.9 Er besteht allerdings gem. § 110 SGB VII nur noch bis zu einer bestimmten Höhe, nämlich nur noch bis zur Höhe des – fiktiven – Ersatzanspruchs des Geschädigten; dessen Mitverschulden ist also anspruchskürzend zu berücksichtigen. Inhaltlich ist er auf Erstattung eigener mittelbarer Schäden der Sozialversicherungsträger gerichtet.10 Dieser Regressanspruch steht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nur den deutschen leistungspflichtigen Sozialversicherungsträgern zu.11

Der Anspruch aus § 110 SGB VII hat in der Praxis vor allem für die Berufsgenossenschaft Bau große Bedeutung. Bei ihr sollen bis zu 40 % ihrer Einnahmen aus Haftpflichtfällen auf Regresse aus § 110 I SGB VII entfallen.12 Bauarbeiten sind wegen der oft großen Absturzhöhe besonders gefahrenträchtig. Zwar wird dem Sozialversicherungsträger der Ersatz seiner Aufwendungen in erster Linie aus präventiven und erzieherischen Gründen gewährt; hierdurch soll der Unternehmer davon abgehalten werden, seine Aufgaben nachlässig oder gar leichtfertig wahrzunehmen. Andererseits können den Schädiger aber auch berufsspezifische Nachlässigkeiten (ein allgemeiner „Schlendrian“) entlasten.13 Denn die Unternehmer sollen, so der BGH,14 wegen ihrer an die Berufsgenossenschaft gezahlten Beiträge grundsätzlich von einer Haftung freigestellt sein und nur dann im Wege des Rückgriffs in Anspruch genommen werden können, wenn es auch bei voller Berücksichtigung dieses Zwecks angesichts ihres für den Arbeitsunfall ursächlichen Verhaltens nicht mehr gerechtfertigt erscheint, die Folgen des Unfalls auf die in der Berufsgenossenschaft zusammengeschlossene Unternehmerschaft abzuwälzen. Es muss aber auch berücksichtigt werden, dass der Regress nach § 110 SGB VII für den Unternehmer wegen der oft sehr hohen Personenschäden existenzgefährdend und deshalb schwerwiegender sein kann als viele andere Regresse.15

II. Anspruchsvoraussetzungen

Primäre Anspruchsvoraussetzung für die Haftung aus § 110 SGB VII ist, dass der Schädiger nach den §§ 104–107 SGB VII haftungsprivilegiert ist; es reicht aus, wenn die Haftung gegenüber den Sozialversicherungsträger gem. §§ 104 I 2, 105 I 3 SGB VII scheitert. Zwar liegt oft bereits eine gem. § 108 I SGB VII allseits bindende Entscheidung im sozialrechtlichen Verfahren vor. Es ist dann aber nur entschieden, ob der Geschädigte den Unfall als Arbeitsunfall erlitten hat. Falls dies bejaht wird ist fraglich, bei welcher Tätigkeit und für welchen Betrieb. Ob der Schädiger nach den §§ 104 ff. SGB VII haftungsprivilegiert ist, wird immer im Haftpflichtprozess entschieden.16 Bei einem Rechtsstreit nach § 110 SGB VII muss der Zivilrichter aber, wie bereits oben zu I ausgeführt, eventuell auch die sozialrechtliche Vorfrage selbst mitentscheiden. In der Praxis wird dann die Frage der Haftungsprivilegierung oft nicht ausreichend geprüft und dann auch eventuell falsch entschieden. Diese Frage ist nicht immer leicht zu beantworten, insbesondere dann, wenn es um die Privilegierung nach § 106 III Alt. 3 SGB VII (Unfall auf gemeinsamer Betriebsstätte) geht.17 Ferner muss der Schädiger den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Insoweit ordnet das Gesetz jetzt aber in § 110 I 3 SGB VII ausdrücklich an, dass sich das Verschulden nur noch auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen zu beziehen braucht.18

1. Vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls

Durch die Neuregelung in § 110 SGB VII, dass sich das Verschulden nur noch auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen zu beziehen braucht, ist zwar die Haftung aus dieser Norm gegenüber § 640 RVO verschärft; die Neuregelung wird aber teilweise missverstanden und überbewertet. Früher musste sich das Verschulden auch auf den Schadensumfang beziehen, jetzt ist dies nicht mehr der Fall, aber das Verschulden muss sich immer noch auf den gesamten haftungsbegründenden Tatbestand beziehen und damit auch auf den Eintritt eines – so der BGH19 – ernstlichen Personenschadens.

Es reicht beispielsweise nicht aus, wenn ein Unternehmer vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen Unfallverhütungsvorschriften verstoßen hat.20 Der Schädiger muss immer den gesamten Haftpflichttatbestand vorsätzlich oder grob fahrlässig verwirklicht haben.21 Im Fall des § 823 BGB muss er also vorsätzlich oder grob fahrlässig den Körper oder die Gesundheit des anderen verletzt haben. Wie bei § 823 BGB reicht es aber jetzt aus, wenn der Schädiger den Schadenseintritt, also eine (irgendeine) Verletzung gewollt oder jedenfalls billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz). Er muss jetzt, anders als bei §§ 104 ff. SGB VII und anders als früher bei § 640 RVO, den Schadensumfang, also den vollen tatsächlich eingetretenen Personenschaden, nicht mehr gewollt oder billigend in Kauf genommen haben.22

Wenn also zum Beispiel ein Unternehmer zum Schutz der Hände seiner Mitarbeiter eine nach den Unfallversicherungsvorschriften vorgeschriebene Sicherungseinrichtung nicht in eine Arbeitsmaschine eingebaut hat in der Hoffnung, es werde schon nichts passieren, hat er schon nicht vorsätzlich, sondern allenfalls grob fahrlässig gehandelt. Anders ist es, wenn er irrig annimmt, es könne allenfalls zu einer geringen Handverletzung kommen, beispielsweise zu einer Prellung mit Bluterguss, und er dieses in Kauf nimmt. Jetzt ist er auch dann in vollem Umfang aus § 823 BGB haftpflichtig, wenn es tatsächlich zu einem Unfall eines Mitarbeiters mit einer schweren Handverletzung gekommen ist und er dieses nicht gewollt und auch nicht für möglich gehalten hat, wenn dies aber voraussehbar war. Er bleibt dann zwar nach § 104 SGB VII haftungsprivilegiert, weil er „den Versicherungsfall“ (das heißt den gesamten Schadensumfang) nicht vorsätzlich herbeigeführt hat; der Vorsatz muss sich hier auch auf die Folgen erstecken. Er hat aber den Tatbestand des § 110 SGB VII vorsätzlich erfüllt, weil sich hier das Verschulden nur auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen beziehen muss.

So will zum Beispiel bei einer Schulhofrauferei der Schüler dem Mitschüler bei einem Tritt gegen das Bein Schmerzen bereiten; der Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung ist bei einem derartigen schmerzhaften Tritt erfüllt. Bricht dabei aber das Bein des Mitschülers, ist das in der Regel nicht gewollt oder in Kauf genommen. Der Schädiger ist dann dennoch (nach § 106 I SGB VII) haftungsprivilegiert.23 Er hat aber jetzt den Tatbestand des § 110 I SGB VII erfüllt. In der Praxis ist dann allerdings oft die Regelung in § 110 II SGB VII zu beachten.

Besteht für den Schädiger eine Privathaftpflichtversicherung, ist der Versicherer nicht nach § 103 VVG von seiner Eintrittspflicht frei, wenn sich der Vorsatz nicht auch auf den Schadensumfang erstreckt. Es kann sich somit die Situation ergeben, dass der vorsätzlich handelnde Schädiger zwar dem Geschädigten gegenüber privilegiert und damit leistungsfrei, dem Sozialversicherungsträger gegenüber aber nach § 110 SGB VII leistungspflichtig ist mit der weiteren Folge, dass der Haftpflichtversicherer eventuell eintrittspflichtig ist, weil er sich insoweit nicht auf den Risikoausschluss des § 103 VVG berufen kann.24

2. Grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls

Grobe Fahrlässigkeit erfordert eine objektiv schwere, ungewöhnlich krasse Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, zudem ein Fehlverhalten, das auch subjektiv nicht entschuldbar ist und den gewöhnlichen Umfang des § 276 BGB erheblich übersteigt. Grob fahrlässig handelt, wer das unbeachtet gelassen hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.25 Anders als bei der einfachen Fahrlässigkeit sind hier auch subjektive, in der Individualität des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen.26

In der Regulierungspraxis wird von den Sozialversicherungsträgern nicht selten von den schweren Folgen des Fehlverhaltens auf ein schweres Verschulden des Schädigers geschlossen. Das ist nicht richtig, es kommt allein auf das Ausmaß der Pflichtverletzung an, nicht auf den Schadensumfang. Weil das in § 276 BGB bestimmte Verschuldensmaß aber weit überschritten sein muss und weil die Pflichtverletzung zudem auch subjektiv schlechthin unentschuldbar sei muss, handelt es sich bei § 110 SGB VII um eine Ausnahmevorschrift, die ungewöhnlich und zudem auch rechtlich bedenklich ist, weil der Geschädigte selbst den privilegierten Schädiger nur bei vorsätzlicher Schadenszufügung in Anspruch nehmen kann.27 In der Regulierungspraxis wird zudem oft vorschnell begründet, dass der Schädiger den Schaden nicht nur fahrlässig, sondern auch grob fahrlässig verursacht hat; wenn der Schädiger beispielsweise Sicherungsmaßnahmen getroffen hatte, die aber – entgegen seiner Annahme – zur Verhinderung dieses Unfalls nicht ausreichend waren, kann nur unter besonderen Voraussetzungen beim Vorliegen einer auch subjektiv groben Fahrlässigkeit ausgegangen werden.28 Zu beachten ist auch, dass nicht allein deshalb grobe Fahrlässigkeit zu bejahen ist, weil gegen Unfallverhütungsvorschriften, die dem Schutz vor tödlichen Gefahren dienen, verstoßen worden ist; wie bereits aufgezeigt, müssen auch dann immer noch besondere Umstände hinzutreten.29 Fallen die Arbeiten aber aus dem üblichen Rahmen heraus, besteht eine erhöhte Pflicht des Unternehmers, sich auch selbst um die Sicherung zu kümmern.30 Die für die Sicherheit Verantwortlichen müssen die zu beachtenden Sicherheitsbestimmungen kennen und beachten.31 Das ist insbesondere bei Schweißarbeiten wichtig, durch die häufig ein Brand mit großen Folgeschäden verursacht wird.32 Zudem braucht sich jetzt auch die grobe Fahrlässigkeit, wie bereits ausgeführt, nur noch auf den Haftpflichttatbestand zu beziehen, nicht mehr auf den Schadensumfang.

Liegt ein Verstoß gegen Unfallversicherungsvorschriften vor, die vor tödlichen Gefahren schützen sollen, liegt in der Regel ein objektiv schwerer Pflichtenverstoß vor. Dieser wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaft diesen Verstoß bei den regelmäßigen Prüfungen jahrelang nicht beanstandet haben; der Unternehmer ist für die Einhaltung der Unfallversicherungsvorschriften selbst verantwortlich. Bei diesem Sachverhalt kann aber das erforderliche subjektive gesteigerte Verschulden fehlen.33 Zwar kann der Unternehmer dem Unfallversicherungsträger in der Regel nicht vorwerfen, er habe den Schaden durch nachlässige Kontrollen selbst mitverschuldet und müsse sich deshalb gem. § 254 BGB einen Abzug gefallen lassen. Die Tatsache, dass die Berufsgenossenschaft den mangelhaften Zustand aber jahrelang nicht beanstandet hat, mildert den Verschuldensvorwurf. Wenn der Unfallversicherungsträger Schlendrian jahrelang geduldet hat, kann sogar der Rückgriff gegen Treu und Glauben verstoßen.34 Umgekehrt kann grobe Fahrlässigkeit vorliegen, wenn die Berufsgenossenschaft einen Sicherheitsverstoß bereits mehrfach gerügt hat, der Unternehmer diesen aber aus Kostengründen nicht behoben hat und der Sicherheitsverstoß sich dann realisiert hat.35

Haben sich jedoch berufsspezifische Nachlässigkeiten (BGH: Schlendrian) eingeschlichen, kann dies den Schädiger entlasten.36 Den Ansatz: „Was allgemein üblich ist, ist regelmäßig nicht grob fahrlässig“, sollte man nicht übersehen.37 Damit hat der BGH in der Landwirtschaft in der Vergangenheit häufiger grobe Fahrlässigkeit verneint, beispielsweise bei der Mitnahme einer Erntehelferin auf einem 3,70 m hoch mit Heuballen beladenen Anhänger.38 Andererseits hat der BGH aber – in gewissem Widerspruch dazu – die Annahme einer groben Fahrlässigkeit eines Winzers durch das OLG nicht beanstandet, der seinen achtjährigen Sohn auf der Ladegabel eines kleinen Gabelstaplers stehend ein kurzes Stück mitfahren ließ, der dann abrutschte und sich dabei verletzte;39 in der Landwirtschaft helfen Kinder nicht nur frühzeitig mit, sie sind auch frühzeitig mit dem Umgang mit landwirtschaftlichen Maschinen vertraut. Insgesamt bedarf es immer einer genauen Prüfung der Umstände des Einzelfalls, ob wirklich grobe Fahrlässigkeit zu bejahen ist, ob insbesondere auch das subjektiv schlechthin unentschuldbare Verhalten gegeben ist. Oft sind, insbesondere bei Baustellenunfällen, zwar mehrere Beteiligte für den Unfall verantwortlich und es ist auch grobe Fahrlässigkeit gegeben, aber nicht jeder hat den objektiven und subjektiven Tatbestand der groben Fahrlässigkeit auch tatsächlich erfüllt.

So mag zum Beispiel ein Baugerüst vom Gerüstbauer grob fahrlässig fehlerhaft errichtet sein; der Unternehmer, der seine Mitarbeiter auf dem Gerüst hat arbeiten lassen, ohne das Gerüst zuvor hinreichend auf Gefahrenfreiheit zu überprüfen, hat aber eventuell seine Pflichten nur fahrlässig, nicht grob fahrlässig verletzt.40 Hat der Unternehmer beispielsweise seine auf einem Hallendach arbeitenden erfahrenen Mitarbeiter mit einem Sicherungsseil ausgestattet, handelt er nicht grob fahrlässig, wenn er es unterlässt, bei einem Mitarbeiter auch nachzuprüfen, ob dieser die Absturzlänge des Sicherungsseils richtig eingestellt hat41 oder wenn er es unterlässt, bei einem solchen Mitarbeiter zu überprüfen, ob er das Sicherungsseil angelegt hat.42

Hat der Schädiger von den vorgeschriebenen eindeutigen Sicherungsmaßnahmen vollständig abgesehen, kann dieser elementare Verstoß ein solches Gewicht haben, dass dies auch den Schluss auf ein gesteigertes Verschulden rechtfertigt; der Unternehmer darf die Gesundheit seiner Mitarbeiter nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.43 Das kann zum Beispiel bei Arbeiten auf einem Dach in großer Höhe (zB Montage von Photovoltaikanlagen) gegeben sein.44 Waren die Sicherungsmaßnahmen dagegen nur nicht ausreichend, ist eventuell nur einfache Fahrlässigkeit gegeben.45 Auch kann ein so genanntes Augenblicksversagen gegen eine grobe Fahrlässigkeit in subjektiver Hinsicht sprechen;46 es müssen jeweils weitere Umstände hinzukommen.47 Unkenntnis der Unfallversicherungsvorschriften entlastet den Unternehmer nicht, es spricht eher im Gegenteil für eine subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung. Denn grundsätzlich muss der Unternehmer die Kenntnis haben, die für die Erfüllung der von ihm übernommenen Aufgaben notwendig ist.48

a) Unfälle am Arbeitsplatz

Bei Unfällen am Arbeitsplatz geht es in der Regel um die Frage, ob grob fahrlässig gegen eine Unfallversicherungsvorschrift oder sonstige Sicherheitsbestimmungen verstoßen wurde. Dabei führt aber nicht jeder Verstoß automatisch zur groben Fahrlässigkeit; die Unfallversicherungsvorschrift muss den Schutz vor schweren Verletzungen oder tödlichen Gefahren bezwecken,49 zudem muss auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden vorliegen.50 Vor allem aber können und dürfen immer nur die Pflichtverletzungen berücksichtigt werden, die für den Unfall auch tatsächlich ursächlich oder jedenfalls mitursächlich geworden sind.

Aufklärungsbedürftig ist oft insbesondere, ob der Unternehmer die vorgeschriebenen Sicherheitsanforderungen völlig unterlassen oder nur nicht ausreichend ausgeführt hat, ferner, ob der beauftragte und verletzte Mitarbeiter bereits sehr erfahren oder noch unerfahren war. Bei Unfällen am Arbeitsplatz ist häufig auch ein den fiktiven Ersatzanspruch kürzendes Mitverschulden des Geschädigten gegeben.51 Das Mitverschulden kann sogar so groß sein, dass ein Anspruch aus § 110 SGB VII schon aus diesem Grund ausscheidet.52

aa) Unfälle auf Baustellen

Auf Baustellen kommt es oft zu dem Unfall eines Bauarbeiters wegen fehlender oder jedenfalls unzureichender Absturzsicherung. Es können dann mehrere Beteiligte mitverantwortlich sein, zum Beispiel der Architekt, der Bauleiter, der Unternehmer des geschädigten Mitarbeiters, eventuell sogar der Bauherr; es bedarf dann einer genauen Prüfung, wer mitverantwortlich und haftpflichtig ist und wer privilegiert, aber dem Sozialversicherungsträger wegen grob fahrlässiger Unfallverursachung aus § 110 SGB VII erstattungspflichtig ist.53 Dabei ist zu beachten, dass Leiharbeiter für die Zeit der Überlassung voll in das Unternehmen des Entleihers eingegliedert sind mit der Folge, dass dieser nach § 104 SGB VII privilegiert,54 aber auch nach § 110 SGB VI regresspflichtig sein kann.

Es ist objektiv und subjektiv grob fahrlässig, wenn dem Geschädigten eine Tätigkeit (hier: Reinigung einer rotierenden Bohrschnecke) zugewiesen wird, die gegen eine Unfallversicherungsvorschrift verstößt, die elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat, weil sie sich mit dem Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren befasst (hier: Unfallversicherungsvorschrift „kraftbetriebene Arbeitsmittel“).55

Wird bei Arbeiten an einer neuen Bahn-Energie-Leitung der Obermonteur außerhalb der Arbeitszeit von einem Bauleiter angerufen und darauf aufmerksam gemacht, dass die Speiseleitung (15.000 Volt) nicht ausgeschaltet wurde, ist der Tatbestand der groben Fahrlässigkeit erfüllt, wenn der Obermonteur am anderen Morgen vergisst, die Leitung abzuschalten, und dadurch ein anderer Mitarbeiter schwer verletzt wird.56 Ein Unternehmer handelt grob fahrlässig, wenn er es duldet, dass seine Mitarbeiter einen nicht zur Personenbeförderung zugelassenen Lastenaufzug regelmäßig zur Mitfahrt in die oberen Stockwerke mitbenutzen, und ein Mitarbeiter abstürzt, weil das Zugseil reißt.57 Stürzt ein Mitarbeiter infolge unzureichender Absicherung bei einer Absturzhöhe von 2,40 Meter von der Kellerdecke auf den Kellerboden, kann grobe Fahrlässigkeit fehlen, wenn der Unternehmer weitere Sicherungen angeordnet hatte, die aber noch nicht ausgeführt waren.58 Haben die eigenen Arbeitnehmer auf einer Baustelle vor dem Absturz eines Arbeiters bereits mehrfach erfolglos das Aufstellen eines Baugerüstes gefordert, ist ein Anspruch gegen den Arbeitgeber wegen grober Fahrlässigkeit möglich.59

bb) Unfälle bei Dacharbeiten

Dacharbeiten sind oft lebensgefährlich wegen der Absturzgefahren. Insbesondere für die Montage von Photovoltaikanlagen auf Dächern, in den letzten Jahren ein Massengeschäft, werden von den Händlern (offenbar wegen der Haftungsrisiken bewusst) Subunternehmer eingeschaltet; die Montage ist für die dann konkurrierenden Subunternehmer häufig nur auskömmlich, wenn die Anforderungen zur Absturzsicherung – BGV C 22 für Arbeiten auf Dächern – nicht oder nur teilweise eingehalten werden. Weil die Arbeiten aber andererseits wegen der Absturzhöhe häufig mit Lebensgefahr verbunden sind, ist bei dem Absturz eines Mitarbeiters häufig auch der Tatbestand der grob fahrlässigen Unfallverursachung erfüllt. Die unzureichende Absicherung der Montage einer Photovoltaikanlage auf einem 12 Meter hohen Dach ist ein grober Verstoß gegen Unfallversicherungsvorschriften und rechtfertigt die Annahme eines groben Verschuldens; die Warnung der Mitarbeiter vor den Gefahrenquellen kann die Einhaltung der Vorschriften nicht ersetzen.60

Bei Dacharbeiten wurden auf dem nicht begehbaren Hallendach nur 20 cm breite Laufbohlen verlegt. Da jeder Fehltritt zu einem 7 Meter tiefen Absturz führen konnte, war der Absturz eines Mitarbeiters wegen der unzureichenden Absturzsicherung durch den Unternehmer grob fahrlässig verursacht.61 Stürzt auf einem Flachdach ein Mitarbeiter bei den Dacharbeiten aus 3 Meter Höhe durch eines der für Lichtkuppeln vorgesehenen Löcher, die völlig ungesichert sind, hat der Unternehmer den Unfall eventuell grob fahrlässig verursacht.62 Lässt ein Subunternehmer Dacharbeiten durch einen schwergewichtigen Mitarbeiter (110 kg) ausführen, kann bei einem Unfall der Tatbestand der grob fahrlässigen Unfallverursachung erfüllt sein; es kann aber der subjektive Verschuldensvorwurf fehlen, wenn der Mitarbeiter zuvor bei einer Vielzahl von Baustellen problemlos auf Dächern eingesetzt worden ist.63 Hat der Unternehmer statt sonstiger Absturzsicherungen seine auf einem Hallendach arbeitenden langjährig erfahrenen Mitarbeiter sämtlich mit einem Sicherungsseil ausgestattet und auch geeignete Anschlagpunkte vorgegeben, ist ein Mitarbeiter aber abgestürzt, weil er kurzfristig unangeseilt arbeitete, hat der Unternehmer den Unfall nicht grob fahrlässig verursacht, wenn er es unterlassen hat, ständig zu überprüfen, ob das Sicherungsseil angelegt ist.64 Ein Unternehmer handelt bei Dacharbeiten auch nicht grob fahrlässig, wenn er es einem erfahrenen Mitarbeiter überlässt, die Absturzlänge des Sicherungsseils richtig einzustellen, und nicht vor dem Absturz dieses Mitarbeiters auf den Hallenboden nachgeprüft hat, ob dieser die Absturzlänge auch tatsächlich richtig eingestellt hatte.65

cc) Unfälle bei Säge- und Baumfällarbeiten

Baumfällarbeiten sind gefährlich, bei ihnen werden nicht selten Menschen verletzt oder gar getötet. Die Ausführung erfordert deshalb eine besondere Koordinierung der Arbeiten, schon der Einsatz von nicht geschultem und unqualifiziertem Personal kann objektiv grob fahrlässig sein.66 Ein Verstoß dagegen begründet aber nicht automatisch ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden.67 Bei Baumfällarbeiten handelt der Sägenführer jedoch grob fahrlässig, wenn er ohne Warnzeichen mit dem Fällschnitt beginnt, obwohl sich eine nicht mit dem Fällen beschäftigte Person hangabwärts im Fallbereich des zu fällenden Baums aufhält. Das OLG hat aber auch ein den fiktiven Ersatzanspruch kürzendes Mitverschulden des Geschädigten bejaht, weil der Geschädigte sich nicht an Anweisungen gehalten hat.68 Bei der Verwendung eines an einen Schornstein geketteten Seilzugs fiel nicht der zu fällende 10 Meter hohe Baum mit einem Durchmesser von 30 cm, sondern der Schornstein um und verletzte einen Mitarbeiter schwer. Der die Aktion leitende Beklagte, von Beruf Installateur, war als Baumfäller weder ausgebildet noch hinreichend erfahren. Das OLG hat eine grob fahrlässige Unfallverursachung bejaht.69

b) Unfälle im Verkehr

Zunehmend werden von den Unfallversicherern auch nach Verkehrsunfällen dann, wenn zum Beispiel der Fahrer auf einer Betriebsfahrt einen Unfall verursacht hat und dabei ein mitfahrender Arbeitskollege verletzt worden ist, Ersatzansprüche aus § 110 SGB VII geltend gemacht.70 Werden gegen den Fahrer Ansprüche aus § 110 SGB VII bejaht, ist auch der Versicherer des Halters nach § 3 Nr. 1 PflVG aF bzw. nach § 115 VVG eintrittspflichtig.71

III. Anspruchsumfang

1. Gesetzliche Anspruchsbegrenzung

Der Schädiger hat den Sozialversicherungsträger nach der neuen Gesetzeslage zwar auch weiterhin die ihnen infolge des Versicherungsfalls entstandenen Aufwendungen zu erstatten, aber nur noch bis zur Höhe des (fiktiven) zivilrechtlichen und auch bereits fälligen Personenschaden-Schadensersatzanspruchs des Geschädigten; auf diese Höhe ist der Erstattungsanspruch jetzt immer limitiert. Der Erstattungsanspruch solle, so der BGH,72 immer auf den Umfang des Schadensersatzes beschränkt werden, den der Verpflichtete zivilrechtlich hätte leisten müssen, der Schädiger sollte gegenüber dem Sozialversicherungsträger so gestellt werden, wie er ohne die Privilegierung nach den §§ 104 ff. SGB VII stände.

2. Anspruchsberechnung

Es sind zunächst die gesamten unfallbedingten Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers zu ermitteln, also die Geldleistungen und der Wert der Sachleistungen, einschließlich der unfallbedingten Verwaltungsmehraufwendungen des Sozialversicherungsträgers (zB für ärztliche Gutachten). Nicht zu berücksichtigen sind allerdings allgemeine Verwaltungskosten.73 Sodann ist der gesamte zivilrechtlich ersatzfähige Schaden des Geschädigten zu ermitteln, einschließlich des (fiktiven) Schmerzensgeldanspruchs,74 also ohne Rücksicht auf sachliche und zeitliche Kongruenz, aber unter Abzug aller nicht erstattungsfähigen Drittschäden des Sozialversicherungsträgers (zB der Verwaltungsmehraufwendungen), ferner unter Abzug der ersparten Aufwendungen des Geschädigten (zB der ersparten Fahrt- oder Verpflegungskosten) und insbesondere unter Berücksichtigung des gebotenen Quotenabzugs wegen eines mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten. Der insoweit gebotene Quotenabzug ist nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln, auch soweit es um die Höhe des fiktiven Schmerzensgeldanspruchs geht.75 Das Mitverschulden des Geschädigten kann so groß sein, dass eine Haftung aus § 110 SGB VII schon aus diesem Grund ausscheidet.76

Die Höhe des so ermittelten fiktiv erstattungsfähigen Personenschadens bildet dann die Obergrenze für den erstattungspflichtigen Aufwendungsersatzanspruch des Sozialversicherungsträgers. Es kann sich dabei zum Beispiel ergeben, dass der Geschädigte zwar sozialrechtlich wegen unfallbedingter Verminderung seiner Arbeitsfähigkeit einen Rentenanspruch, aber zivilrechtlich keinen Erwerbsschaden und damit insoweit keinen Ersatzanspruch hat mit der Folge, dass dann auch ein Anspruch aus § 110 SGB VII nicht besteht. Ferner kann das den fiktiven Ersatzanspruch kürzende Mitverschulden des Geschädigten so schwer wiegen, dass ein (fiktiver) Ersatzanspruch auch aus diesem Grund nicht besteht.77 Andererseits kann ein Mitverschulden fehlen, wenn Mitarbeiter die Weisungen des Unternehmers befolgen.78

Soweit die Aufwendungen noch nicht angefallen sind, hat der Sozialversicherungsträger gem. § 110 II 2 SGB VII einen Anspruch auf Kapitalisierung; im Haftpflichtrecht muss insoweit immer ein wichtiger Grund vorliegen (s. § 843 III BGB). Im Rahmen einer Feststellungsklage nach § 110 SGB VII ist über den Quotenabzug wegen Mitverschuldens noch nicht zu entscheiden, weil sich das Mitverschulden nur auf die Höhe des fiktiven Schadensersatzanspruchs und damit nur mittelbar auf die Höhe des Aufwendungsersatzanspruchs auswirkt.79

IV. Darlegungs- und Beweislast

Die Beweislast für das Vorliegen eines grob fahrlässigen Verstoßes liegt immer beim Sozialversicherungsträger. Auch die subjektive Vorwerfbarkeit muss konkret nachgewiesen werden.80 Ein schwerwiegender objektiver Pflichtenverstoß kann aber den Schluss auf ein auch subjektiv gesteigertes Verschulden nahe legen.81 Aufgrund des Satzbaus und auch aufgrund der amtlichen Begründung wurde teilweise angenommen, es sei Sache des Schädigers, die eventuell geringere Höhe des zivilrechtlichen Anspruchs darzulegen und gegebenenfalls auch zu beweisen.82 Diese Frage hat der BGH83 aber anders entschieden.84 Anders ist es nur dann, wenn es um die Frage der Kürzung des fiktiven Ersatzanspruchs wegen Mitverschuldens geht.85 Im Rahmen einer Feststellungsklage ist immer auch auszusprechen, dass der Aufwendungserstattungsanspruch auf die Höhe des fiktiven Schadensersatzanspruchs beschränkt ist.86

V. Verjährung

Für den Anspruch nach § 110 SGB VII gelten gem. § 113 SGB VII „die §§ 195, 199 BGB entsprechend mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist“. „Mit der Maßgabe“ bedeutet, dass hier das Erfordernis der Kenntnis oder der grob fahrlässigen Unkenntnis iSd § 199 I BGB ersetzt ist durch die bindende Feststellung der Leistungspflicht.87 Diese ist spätestens dann gegeben, wenn der Bescheid des Unfallversicherers über die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall bindend geworden ist;88 schon früher kann aber eine Mitteilung des Unfallversicherers an den Geschädigten, dass ein Arbeitsunfall vorliegt und dass eine Verpflichtung zur Leistung besteht, für den Verjährungsbeginn ausreichen.89 Die Verjährungsfrist endet dann nach drei Jahren taggenau, nicht erst zum Jahresende.90

Wird vom Sozialversicherungsträger zunächst nur der Erstattungsanspruch aus § 110 SGB VII geltend gemacht und dann, weil die Voraussetzungen offenbar nicht vorliegen, der gem. § 116 SGB X übergegangene Ersatzanspruch des Geschädigten nachgeschoben, liegt darin eine Klageänderung, weil jetzt ein anderer Streitgegenstand gegeben ist.91 Mit der Anmeldung des Ansprüche aus § 110 SGB VII und der Verhandlung darüber wird die Verjährung der Ansprüche aus § 116 SGB X nicht gem. §§ 203, 213 BGB gehemmt, weil es sich nicht um Ansprüche aus demselben Rechtsgrund handelt und weil sie auch nicht auf dasselbe Interesse gerichtet sind; sie gehen nicht nur bei § 110 SGB VII auf den Ersatz der Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers, bei § 116 SGB X auf den Ersatz des Schadens des Geschädigten, sie werden auch unterschiedlich errechnet und können deshalb betraglich stark differieren.92 Ist aber zweifelhaft, ob Ansprüche aus § 110 SGB VII bestehen, kann der Sozialversicherungsträger von vornherein hilfsweise Ansprüche aus § 116 SGB X beim Haftpflichtversicherer anmelden und dann eventuell auch hilfsweise mit der Klage geltend machen. Die Verjährungsgefahr kann also auf diese Weise problemlos vermieden werden.

VI. Fazit

Auch wenn der § 110 SGB VII kein „juristisches Allgemeingut“ für den „Haftungsrechtler“ ist, so hat er in der Regressabwicklung zwischen Sozialversicherer und Haftpflichtversicherer eine große wirtschaftliche Bedeutung.

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1 BGHZ 155, 342 = NJW 2003, 3193 = r + s 2003, 524.

2 Lemcke/Heß, r + s 2007, 221.

3 Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, 12. Aufl. 2016, Rn. 516.

4 BGH, NJW 1972, 445.

5 Wellner in Geigel, der Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, Kap. 32 Rn. 19 ff.

6 Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschäden, Rn. 558.

7 S. zB BGH, NZG 2017, 1306 = r + s 2017, 669.

8 S. zB OLG Naumburg, Urt. v. 20.10.2014 – 12 U 79/14, BeckRS 2015, 3357 mwN.

9 OLG Dresden, NJOZ 2012, 239 = VersR 2012, 1538.

10 BGHZ 204, 378 = NJW 2015, 3718 = VersR 2015, 1269.

11 BGHZ 216, 174 = NJW 2018, 618 = r + s 2018, 51.

12 So Lehmacher, BG 2003, 464.

13 BGH, NJW 1988, 1265.

14 BGH, NJW 1988, 1265.

15 S. insoweit Jahnke/Burmann, HdB Personenschadensrecht, 2016, Kap. 5 Rn. 3879.

16 BGH, NZV 2013, 280 = r + s 2013, 206.

17 BGHZ 203, 224 = NJW 2015, 940.

18 BGH, NJW 2009, 681 = r + s 2008, 530.

19 BGH, NJW 2009, 681 = r + s 2008, 530.

20 S. zB OLG Dresden, NZA-RR 2019, 170 (mAnm Kutzner, NZA-RR 2019, 173) = r + s 2018, 620.

21 S. zB LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 31.5.2017 – 6 Sa 307/16, BeckRS 2017, 125919.

22 OLG Koblenz, Urt. v. 22.5.2014 – 2 U 574/12, BeckRS 2014, 14961.

23 S. zB BGH, NJW 2009, 681 = r + s 2008, 530.

24 Jahnke/Burmann, HdB Personenschadensrecht, Kap. 5 Rn. 3860, 3861.

25 BGH, NJW 2012, 1789 = r + s 2012, 304.

26 Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl. 2018, § 277 Rn. 5 mwN.

27 Waltermann in Wannagat, SGB VII, 6. Aufl. 2019, § 110 Rn. 2 mwN.

28 S. die – eine grobe Fahrlässigkeit verneinende – Entscheidung des OLG Dresden, NZA-RR 2019, 170 = r + s 2018, 620.

29 BGH, VersR 1981, 75 = BeckRS 1980, 30373276.

30 OLG Hamburg, VersR 2010, 1620 = BeckRS 2010, 29525.

31 BGH, NZS 2014, 470; OLG Frankfurt a. M., r + s 2014, 477; OLG Hamm, Urt. v. 4.4.2017 – 9 U 120/15, BeckRS 2017, 108096.

32 S. zB OLG Karlsruhe, Urt. v. 4.4.2017 – 19 U 17/15, BeckRS 2017, 127079.

33 OLG Düsseldorf, NJOZ 2003, 3545 = VersR 2004, 65.

34 BGH, NJW 1974, 797.

35 LG Kempten, Urt. v. 27.4.2017 – 21 O 1591/16, BeckRS 2017, 154942.

36 BGH, NJW 1988, 1265.

37 Jahnke/Burmann,  HdB Personenschadensrecht, Kap. 5 Rn. 3866 mwN.

38 BGH, NJW 1988, 1265.

39 BGH, r + s 2016, 538.

40 AA, allerdings hinsichtlich der groben Fahrlässigkeit des Bauunternehmers ohne überzeugende Begründung LG Bonn, Urt. v. 28.4.2016 – 4 O 127/15, BeckRS 2016, 106401.

41 OLG Jena, r + s 2016, 210.

42 OLG Dresden, NZA-RR 2019, 170 (mAnm Kutzner, NZA-RR 2019, 173) = r + s 2018, 620.

43 BGH, r + s 2015, 46 mAnm Lemcke, r + s 2015, 49.

44 S. zB BGH, r + s 2015, 46 mAnm Lemcke, r + s 2015, 49; OLG Hamm, NJW-RR 2017, 345.

45 BGH, r + s 2015, 46 mAnm Lemcke, r + s 2015, 49.

46 BGH, NJW 1989, 1354.

47 BGHZ 119, 147 = NJW 1992, 2418.

48 BGH, NZS 2014, 470 = r + s 2014, 205.

49 BGH, NJW 2001, 2092 = r + s 2001, 193.

50 OLG Jena, r + s 2016, 210.

51 S. zB OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 17.9.2009 – 15 U 107/08, BeckRS 2009, 139468.

52 BGH, Beschl. v. 13.3.2018 – VI ZR 230/17, BeckRS 2018, 3222.

53 S. insoweit näher BGH, NJW 2015, 940 mAnm Kampen, NJW 2015, 944.

54 Näher BGH, NJW 2015, 940 mAnm Kampen, NJW 2015, 944.

55 OLG Naumburg, VersR 2008, 704 = BeckRS 2008, 11315.

56 OLG Dresden, r + s 2012, 623.

57 LG Paderborn, Urt. v. 31.5.2016 – 2 O 216/15, BeckRS 2016, 130217.

58 OLG Schleswig, VersR 2014, 1353 = BeckRS 2014, 17986.

59 OLG Bamberg, VersR 2009, 132 = BeckRS 2009, 7612.

60 OLG Hamm, NJW-RR 2017, 345.

61 OLG Frankfurt a. M., Urt. v. 14.12.2011 – 1 U 191/10, BeckRS 2012, 18785.

62 OLG Oldenburg, Urt. v. 23.10.2014 – 14 U 34/14, BeckRS 2015, 270.

63 BGH, NZS 2012, 712.

64 OLG Dresden, NZA-RR 2019, 170 (mAnm Kutzner, NZA-RR 2019, 173) = r + s 2018, 620.

65 OLG Jena, r + s 2016, 210.

66 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.2.2011 – 1 U 33/10, BeckRS 2011, 9683.

67 OLG Dresden, Urt. v. 28.1.2014 – 5 U 1498/12, BeckRS 2014, 14749.

68 OLG Dresden, RdL 2011, 180 = BeckRS 2010, 33122.

69 OLG Oldenburg, Urt. v. 24.2.2011 – 1 U 33/10, BeckRS 2011, 9683; UV-Recht Aktuell 2011, 453.

70 S. zB OLG Rostock, NJOZ 2009, 573.

71 BGH, NJW 1972, 445.

72 ZB BGHZ 168, 161 = NJW 2006, 3563 = r + s 2006, 479.

73 S. näher Jahnke/Burmann, HdB Personenschadensrecht, Kap. 5 Rn. 3912 f.

74 BGHZ 168, 161 = NJW 2006, 3563 = r + s 2006, 479.

75 BGHZ 168, 161 = NJW 2006, 3563 = r + s 2006, 479.

76 BGH, Beschl. v. 13.3.2018 – VI ZR 230/17, BeckRS 2018, 3222.

77 BGH, Beschl. v. 13.3.2018 – VI ZR 230/17, BeckRS 2018, 3222.

78 OLG Naumburg, VersR 2008, 704 = BeckRS 2008, 11315.

79 BGH, r + s 2017, 336 = NJOZ 2017, 1334.

80 BGH, VersR 1971, 172 = BeckRS 1971, 30372806.

81 BGH, NJW 1989, 339 = r + s 1989, 221.

82 So zB Lehmacher, NZV 2006, 63 (65).

83 BGHZ 175, 153 = NJW 2008, 2033 = r + s 2008, 172.

84 So auch OLG Karlsruhe, r + s 2007, 260.

85 S. zB OLG Jena, Urt. v. 22.6.2010 – 4 U 174/09, BeckRS 2010, 25134.

86 OLG Celle, r + s 2018, 505.

87 BGH, NJW 2017, 3510 = r + s 2017, 612.

88 OLG Celle, r + s 2018, 505.

89 BGH, NJW-RR 2016, 856 = r + s 2016, 207.

90 BGH, NJW 2017, 3510 = r + s 2017, 612.

91 Lemcke, r + s 2014, 309.

92 BGH, NJW 2019, 1669 = r + s 2019, 228.

93 Quelle: Lemcke/Hensen: Aktuelles zum Regress des Sozialversicherungsträgers         NJW 2019, 2655. Der Autor Lemcke, Vors. Richter am OLG a. D., ist freier Mitarbeiter, die Autorin Hensen, LL. M., ist Partnerin in der Sozietät Dr. Eick und Partner GbR, Bochum.