Zusätzliche Vergütung für Reparaturarbeiten vor Abnahme

Zusätzliche Vergütung für Reparaturarbeiten vor Abnahme

Insbesondere bei größeren Baumaßnahmen, bei denen eine Vielzahl von Werkunternehmern gleichzeitig auf der Baustelle tätig ist, kommt es in der Praxis häufig vor der Abnahme zu Beschädigungen bereits erbrachter Werkleistungen. Der BGH hat sich in einer Entscheidung vom 8.3.2012 mit der Frage beschäftigt, ob dem Auftragnehmer diesbezüglich beauftragte Mängelbeseitigungsleistungen zu vergüten sind. Die Entscheidung gibt Anlass, sich auch grundsätzlich mit der Frage der Gefahrtragung vor Abnahme, insbesondere der Reichweite des § 7 I VOB/B, zu befassen.

I. Einleitung

Gemäß § 644 I 1 BGB, § 7 I VOB/B trägt der Werkunternehmer insoweit in aller Regel die Vergütungsgefahr. Bis zur vollständigen Erfüllung übernimmt der Werkunternehmer zudem die Leistungsgefahr1, mithin die Gefahr des zufälligen Untergangs. Folge ist, dass der Werkunternehmer die (häufig von einem ihm unbekannten Drittunternehmer) beschädigten Leistungen auf eigene Kosten wiederherstellen muss, um ein abnahmefähiges und mangelfreies Werk zu erbringen. Eine zusätzliche Vergütung für die Reparaturleistungen erhält der Werkunternehmer auf Grund dieser rigorosen Erfolgshaftung bis zur Abnahme2 im Regelfall nicht; im Gegenteil, ist gerade die mangelfreie Wiederherstellung der beschädigten Werkleistung Voraussetzung für die Abnahmereife und mithin für den Werklohnanspruch des Unternehmers. In der Praxis kommt es jedoch immer wieder vor, dass Auftraggeber angesichts der aufgetretenen Schäden vor Abnahme nicht nur „Mängelbeseitigung“ verlangen, sondern die Werkunternehmer mit der Reparatur der beschädigten Werkleistungen auch noch separat ausdrücklich beauftragen.

Die Frage, wie die Beauftragung einer nach dem Ursprungsvertrag vom Werkunternehmer bereits geschuldeten – und gegebenenfalls auch auf Abschlagsrechnungen bereits faktisch bezahlten – Leistung rechtlich einzuordnen ist, hat der BGH in einem grundlegenden Urteil im Jahr 2005 dahingehend beantwortet, dass der Auftragnehmer dieselbe Leistung auf Grund einer Nachtragsvereinbarung in der Regel nicht ein zweites Mal bezahlt verlangen kann3. Etwas anderes soll nach dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich nur dann gelten, wenn der Auftraggeber in der Beauftragung eine gesonderte Vergütungspflicht selbstständig anerkannt hat oder sich die Vertragsparteien gerade zur Klärung der Frage einer Doppelvergütung verglichen haben4.

Mit der hier zu besprechenden Entscheidung vom 8. 3. 2012 erweitert der VII. Zivilsenat des BGH die vorstehende Rechtsprechung des X. Zivilsenats. Über die bereits benannten Ausnahmefälle des Anerkenntnisses und Vergleichs hinaus, könne sich nämlich auch stets aus der Vertragsauslegung der zur Mängelbeseitigung zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarung selbst ergeben, dass – abweichend von der Regelvermutung – eine zusätzliche Vergütung geschuldet sei. Dabei sei anhand der Vereinbarung und den Begleitumständen im Wege der Auslegung zu prüfen, ob der Auftraggeber bereit gewesen sei, trotz der möglicherweise noch beim Auftragnehmer liegenden Gefahren und unter Berücksichtigung aller sonstigen dem Reparaturauftrag zu Grunde liegenden Umstände, eine Vergütungspflicht zu begründen.

II. Die Entscheidung des BGH

1. Sachverhalt

Der Auftragnehmer und spätere Kläger wurde von dem beklagten Auftraggeber – unter Einbeziehung der VOB/B – mit der Verlegung von großflächigen PVC-Böden in einem mehrstöckigen Gebäude eines Seniorenzentrums beauftragt worden.

Vor Ausführung der Arbeiten meldete der Auftragnehmer gegen die Verlegung der PVC-Böden gem. § 4 III VOB/B Bedenken an, und zwar unter Hinweis auf die zu hohe Restfeuchte des Estrichs, die einer Verlegung entgegenstünde. Der Auftraggeber bestand gleichwohl auf eine unverzügliche Ausführung der Arbeiten und entließ den Auftragnehmer ausdrücklich aus der Gewährleistung für eine etwaige Blasen- und Beulenbildung auf Grund einer zu hohen Estrichfeuchte.

Noch vor Abnahme der Arbeiten reinigte ein Drittunternehmen die verlegten PVC-Böden im Auftrag der Auftraggeberin, wobei das gesamte Obergeschoss kurzzeitig unter Wasser stand. In der Folge zeigten sich Blasenbildungen an den PVC-Böden. Inwieweit die Blasenbildungen auf die Estrichrestfeuchte oder die Wasserbelastung durch die Endreinigung zurückzuführen waren, ließ sich nicht mehr aufklären. Der Bauleiter des Auftraggebers beauftragte den Auftragnehmer sodann (vollmachtlos) mit den „Reparaturarbeiten des Schadens am PVC-Belag am Bauvorhaben, welcher auf Grund der zu nassen Reinigung entstanden ist“. Der Auftragnehmer rechnete – nach schriftlicher Genehmigung der Beauftragung durch den Auftraggeber – die von ihm erbrachten Reparaturleistungen sodann vereinbarungsgemäß auf Basis von Stundenlohn und Material ab.

Der Auftraggeber verweigerte die Zahlung einer Vergütung unter Hinweis auf eine vermeintlich den Vergütungsanspruch ausschließende Doppelbeauftragung des Auftragnehmers verweigert, woraufhin der Unternehmer seinen Werklohn klageweise geltend machte.

2. Vorinstanzen

Das LG5 und das OLG Stuttgart6 haben dem Werkunternehmer die eingeklagte Vergütung zugesprochen. Das OLG Stuttgart begründet seine Entscheidung damit, dass den Unternehmer die von ihm ausgebrachte Bedenkenanzeige gem. § 4 III VOB/B von einer Haftung im Hinblick auf Schäden auf Grund der Blasenbildung des PVC-Bodens befreit habe. Ein Fall der Doppelbeauftragung liege daher insoweit bereits gar nicht vor. Zwar sei ein Werkunternehmer bei einer Beschädigung seines Werkes vor Abnahme grundsätzlich zur Neuherstellung verpflichtet, allerdings gelte dies wegen der Bedenkenanzeige vorliegend nicht, falls der Schaden – was nicht mehr festgestellt werden konnte – auf die Estrichfeuchte zurückzuführen sei. Schließlich habe der Auftraggeber den Unternehmer aus der Gewährleistung für eine Blasenbildung auf Grund zu hoher Estrichfeuchte entlassen.

Denkbar bleibe zwar die Möglichkeit, dass die Blasenbildung an dem PVC-Boden nicht durch die Restfeuchte, sondern durch die unsachgemäße Reinigung verursacht worden sei. Insoweit bleibe es auch grundsätzlich bei einer Erfüllungsverpflichtung des Unternehmers (§ 644 BGB, § 7 VOB/B). Allerdings scheide eine vertragliche Verpflichtung zur Mängelbeseitigung hier auf Grund einer Beweisnot, derer der Auftragnehmer ausgesetzt ist, aus. Die Anordnung des Auftraggebers, die Arbeiten trotz fehlender Verlegereife des Estrichs durchzuführen, habe den Werkunternehmer in eine Situation gebracht, nunmehr nicht beweisen zu können, in welchem Umfang der Schaden durch die von ihm angezeigte Ungeeignetheit der Vorarbeiten (Estrichfeuchte) oder durch die Schädigung eines Dritten (Reinigung) verursacht worden sei. Der Auftraggeber habe also die Ursache für die Nichtaufklärbarkeit der Blasenbildung durch die – entgegen der Bedenkenanmeldung erfolgte – Anordnung, die Böden zu verlegen, gesetzt. Die sich hieraus für den Werkunternehmer ergebende Beweisnot gehe nun zu Lasten des Auftraggebers. Eine Reparatur der PVC-Böden habe der Auftraggeber daher von dem Unternehmer unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr fordern können.

Demgemäß komme – so das OLG Stuttgart – eine Doppelbeauftragung der Mängelbeseitigungsarbeiten im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung schon gar nicht in Betracht. Vielmehr handele es sich bei der vom Bauleiter des Auftraggebers zunächst vollmachtlos beauftragten und anschließend nachgenehmigten Reparaturleistung um einen eigenständigen Werkvertrag mit entsprechend eigenständiger Vergütungsfolge i. S. des § 631 I BGB.

3. Inhalt der BGH-Entscheidung

Der BGH schließt sich in seiner Entscheidung vom 8. 3. 2012 der Entscheidung des OLG Stuttgart im Ergebnis an, wenngleich mit teilweise abweichender Begründung:

Der VII. Zivilsenat verweist in seiner Begründung zunächst auf die bereits angesprochene grundlegende Entscheidung zur Vergütungspflicht bei Doppelbeauftragungen aus dem Jahr 2005 und die darin behandelten Fallkonstellationen des Anerkenntnisses und Vergleichs. In Ergänzung zu diesen Fällen komme eine Vergütungspflicht für derartige Leistungen aber auch dann in Betracht, wenn eine Auslegung der den Mangelbeseitigungs- und Reparaturleistungen zu Grunde liegenden Vereinbarung ergebe, dass ein Auftraggeber bereit gewesen sei, eine zusätzliche Vergütung ungeachtet des Umstandes zu zahlen, dass der Auftragnehmer zur Erbringung dieser Leistungen möglicherweise ohnehin bereits verpflichtet gewesen sein könnte.

Im konkreten Fall nimmt der Senat diese Auslegung der Vereinbarung selbst vor und bejaht eine solche selbstständige Neubeauftragung. Zu berücksichtigen sei bei der Auslegung der vollmachtlosen Beauftragung durch den Bauleiter und der Genehmigung durch den Auftraggeber, dass die Auftragserteilung gerade vor dem Hintergrund der unklaren Ursache der Blasenbildung an den PVC-Böden erfolgt sei. Hinzu komme, dass auch die Verteilung der Vergütungsgefahr vorliegend keineswegs vollkommen eindeutig gewesen sei. So sei denkbar, dass ein Anspruch des Werkunternehmers für die ausgeführten (beschädigten) Teile der Leistung nach § 7 I 1 i. V. mit § 6 V VOB/B bestanden habe, wenn vorliegend die Leistung durch objektiv unabwendbare und von dem Auftragnehmer nicht zu vertretende Umstände untergegangen sei. Ob das Wasserschadensereignis tatsächlich ein solches Ereignis darstelle, lässt der Senat offen, da dies für die Auslegung der Vereinbarung unerheblich sei. Es genüge für eine entsprechende Vertragsauslegung, dass jedenfalls der Auftraggeber durch die Beauftragung eine Bewertung der Sachlage vorgenommen habe, nach der dem Werkunternehmer ein Anspruch nach § 7 I 1 i. V. mit § 6 V VOB/B zustand. Demgemäß habe der Auftraggeber auch das Risiko einer diesbezüglichen Fehlbeurteilung übernommen.

Entscheidend ist für den Senat im Hinblick auf die Auslegung der Vereinbarung zudem die Tatsache, dass der Auftraggeber dem Werkunternehmer für die Ausführung der Reparaturarbeiten ausdrücklich eine Stundenlohnvergütung in Aussicht gestellt hat. Dies habe – vor dem Hintergrund der unklaren Sachlage – beim Werkunternehmer die berechtigte Erwartung ausgelöst, mit einer zusätzlichen entgeltlichen Schadensbeseitigung beauftragt zu sein. Der Auftragnehmer habe vor dem Hintergrund der nicht geklärten Schadensursache die Beauftragung nur so verstehen können und dürfen, dass sich der Auftraggeber wegen der durch die gesonderte Beauftragung entstandenen Kosten bei dem Reinigungsunternehmen schadlos halten und insoweit das Risiko übernehme wolle.

III. Stellungnahme

Die gut begründete Entscheidung des Senats ist inhaltlich richtig. Der Senat stellt zu Recht klar, dass es Fallgestaltungen gibt, in denen sich – jenseits von Vergleichen und Anerkenntnissen – bereits aus der Auslegung der Beauftragung selbst ein zusätzlicher Vergütungsanspruch des Werkunternehmers für Reparaturarbeiten vor Abnahme ergeben kann. Ein solcher Fall lag der konkreten Entscheidung des Senats zu Grunde. Die vor dem Hintergrund des Wasserschadensereignisses ausdrücklich getroffene Stundenlohnvereinbarung belegt, dass die Vergütungsgefahr für den Schaden nicht bei dem Auftragnehmer angesiedelt werden sollte, sondern nach dem übereinstimmenden Parteiverständnis eine Beseitigung eines Schadens beauftragt wurde, der nicht in die (wirtschaftliche) Verantwortung des Unternehmers, sondern des Auftraggebers fiel.

Es darf freilich nicht übersehen werden, dass für diese Beurteilung stets der jeweilige Einzelfall maßgeblich ist. Es wird auch künftig beim Regelfall bleiben, dass Reparaturarbeiten vor Abnahme nicht gesondert zu vergüten sind. Dies hat seinen Grund darin, dass der Auftraggeber, der den Auftragnehmer – üblicherweise undifferenziert – auffordert, Reparaturarbeiten auszuführen, vielfach zu diesem Zeitpunkt (oftmals im Hinblick auf den Baufortschritt in einer Eilsituation) nicht in der Lage ist, zu beurteilen, ob der Auftragnehmer diese Leistung ohnehin schuldet. Eine eigenständige Vergütungspflicht entsteht folglich nur dann, wenn die Vertragsauslegung zweifelsfrei ergibt, dass sich der Auftraggeber ausdrücklich damit einverstanden erklärt hat, eine zusätzliche Vergütung für die Reparaturarbeiten ohne Rücksicht auf eine möglicherweise ohnehin bestehende Leistungspflicht des Auftragnehmers leisten zu wollen. Dies setzt naturgemäß ein entsprechendes Erklärungsbewusstsein voraus, an dessen Annahme es ohne weitere Anhaltspunkte regelmäßig fehlen wird.

Gleichwohl ist in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass eine Vergütungsvereinbarung neu geschlossen werden sollte oder ob die Beauftragung nur eine Aufforderung zu Mängelbeseitigung darstellt und durch die ursprüngliche Vergütung abgegolten ist.

Eine Vergütungspflicht wird man vielfach dann in Betracht ziehen dürfen, wenn – neben der Beschreibung der auszuführenden Leistung – zwischen den Parteien auch eine konkrete zusätzliche Vergütungsabrede getroffen wurde. Indizien für eine vergütungsfähige separate Beauftragung stellen insoweit – wie im entschiedenen Fall – auch Bedenkenanmeldungen des Auftragnehmers gem. § 4 III VOB/B in Bezug auf die beschädigte Teilausführung dar. Auch die Kenntnis der Parteien von einer unmittelbaren Schadensverursachung durch einen Drittunternehmen kann ein Indiz dafür sein, dass der Auftraggeber mit dem Werkunternehmer eine zusätzliche Vergütungsabrede treffen will, da er beabsichtigt, sich sodann bei dem Drittunternehmen schadlos zu halten.

Die Entscheidung des VII. Zivilsenates vom 8. 3. 2102 stellt zugleich einen Aufruf an die anwaltlichen Berater von Auftraggebern und Auftragnehmern dar, in derartigen Fällen – im Sinne der Streitvermeidung – für eindeutige vertragliche Regelungen Sorge zu tragen. Bevor – wie in der Praxis häufig – durch Bevollmächtigte des Auftraggebers zur Beseitigung der Schäden Leistungen im Stundenlohn beauftragt und/oder Stunden-/Regiezettel abgezeichnet werden, sollte stets sorgfältig geprüft werden, ob die beauftragten Arbeiten bereits zum ursprünglichen Leistungsumfang des Werkunternehmers gehören. Ist dies der Fall, sollte dem Werkunternehmer ausdrücklich kein Stundenlohn für seine Arbeiten in Aussicht gestellt werden, da dies andernfalls – wie aufgezeigt – ein Indiz für die Beauftragung einer zusätzlichen Leistung darstellen kann.

Zudem reißt der BGH in diesem Urteil eine weitere sehr praxisrelevante baurechtliche Fragestellung an. Zutreffend hält der Senat nämlich fest, dass die Beurteilung, ob die Vergütungsgefahr von dem Werkunternehmer zu tragen war, sich nach § 7 I VOB/B beurteilt. Danach hat ein Werkunternehmer – für die ausgeführten Teile der Leistung – die Ansprüche nach § 6 V VOB/B (also auf Abrechung der ausgeführten Leistungen und auf Vergütung der ihm bereits entstandenen Kosten), wenn seine Leistung durch objektiv unabwendbare von ihm nicht zu vertretende Umstände untergegangen ist. Der Senat musste im konkreten Fall nicht beurteilen, inwieweit diese Voraussetzungen vorlagen. Die Frage, wann ein solcher Fall eines für den Werkunternehmer unabwendbaren Unterganges der (Teil-)Werkleistung vorliegt, ist allerdings von hoher Praxisrelevanz. Insbesondere bei Großbaumaßnahmen mit einer Vielzahl gleichzeitig tätiger Werkunternehmer besteht für den einzelnen Auftragnehmer oftmals rein faktisch kaum eine Möglichkeit, sein Werk vor der Abnahme – wie es § 4 V VOB/B verlangt – gegenüber Fremdschädigungen auf der Baustelle zu schützen. Zentrale Zutrittskontrollen und vom Auftraggeber beauftragte Wachdienstleistungen beschränken darüber hinaus den Zugang und die Kontrollmöglichkeiten des einzelnen Unternehmers im Hinblick auf „sein Werk“. In diesen Fällen stellt sich die Frage, wo – im Falle von Fremdbeschädigungen – im Einzelfall die Grenzen zu objektiv unabwendbaren vom Auftragnehmer nicht zu vertretenden Umständen vorliegen. Auf Grund der geringen Schutz- und Einwirkungsmöglichkeiten des Unternehmers im Hinblick auf das eigene Gewerk, spricht viel dafür, die Grenzen bei § 7 I VOB/B – abweichend von § 644 BGB – weit zu ziehen.

Auf Grund der bisherigen Rechtsprechung des VII. Zivilsenats aus dem Jahr 19977 (zu § 7 Nr. 1 VOB/B a. F.) herrscht hingegen ein enges Verständnis vor. Danach sind Ereignisse i. S. des § 7 I VOB/B unabwendbare, vom Auftragnehmer nicht zu vertretende Umstände, „die nach menschlicher Einsicht und Erfahrung in dem Sinne unvorhersehbar sind, dass sie oder ihre Auswirkungen trotz Anwendung wirtschaftlich erträglicher Mittel durch die äußerste nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder in ihren Wirkungen bis auf ein erträgliches Maß unschädlich gemacht werden können“. Ein Ereignis – so der BGH seinerzeit – sei jedoch nicht schon dann unvorhersehbar, wenn es (nur) für den Auftragnehmer im vorgenannten Sinne unabwendbar sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen seien vielmehr nur dann erfüllt, wenn das Ereignis objektiv – also für jedermann – unabhängig von der konkreten Situation des betroffenen Auftragnehmers unvorhersehbar und unvermeidbar gewesen sei. Die Unabwendbarkeit sei somit ausdrücklich nicht (allein) aus der Sicht des Auftragnehmers zu beurteilen.

So hat der BGH in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1997, dem das Hochwasserereignis am Bonner Schürmann-Bau zu Grunde lag, einen Anspruch des Werkunternehmers aus § 7 Nr. 1 VOB/B a. F. abgelehnt, da der Auftraggeber (!) den Schaden durch ordnungsgemäße Hochwasserschutzmaßnahmen hätte verhindern können. In dieser Entscheidung schadete dem Werkunternehmer das restriktive Verständnis des Senats zu § 7 Nr. 1 VOB/B a. F. allerdings im Ergebnis nicht, da der BGH hier § 645 I 1 BGB für entsprechend anwendbar erachtete8, weil der Auftraggeber das Risiko einer Überflutung objektiv zurechenbar – durch Unterlassen der eigentlich geplanten Schutzmaßnahmen – herbeigeführt hatte. Mit der Fassung der VOB/B 2000 wurde zudem – auf Grund der Schürmann-Entscheidung – der Terminus „objektiv“ vor dem Wort „unabwendbar“ in § 7 I VOB/B eingeführt.

Gerade auch deswegen wird im Fall von Auftragnehmern, die bei Großbaumaßnahmen mit einer Vielzahl gleichzeitig tätiger Werkunternehmer ihr Werk faktisch nicht schützen können, die Regelung des § 7 I VOB/B zumeist so verstanden, dass ein Anspruch des Unternehmers aus §§ 7 I, 6 V VOB/B nicht besteht9. Die Unabwendbarkeit des Schadensereignisses ließe sich in diesen Fällen nämlich nur aus der Sicht des konkreten Auftragnehmers begründen, was der BGH – wie gesagt – bislang ausdrücklich nicht genügen lässt. Auch eine entsprechende Anwendung des § 645 I 1 BGB kommt in diesen Fällen in aller Regel nicht in Betracht.

Die Tatsache, dass der BGH in der hier besprochenen Entscheidung vom 8. 3. 2012, in der eine Fremdverursachung der Blasenbildung durch das Reinigungsunternehmen in Betracht kam, überhaupt Ansprüche des Unternehmers nach §§ 7 I, 6 V VOB/B für denkbar erachtet, könnte darauf hindeuten, dass der VII. Zivilsenat möglicherweise eine Änderung dieser bisher sehr restriktiven Rechtsprechung aus dem Jahr 1997 erwägt. Angesichts der angesprochenen oft fehlenden Möglichkeit des Unternehmers, seinen Schutzpflichten aus § 4 V VOB/B nachzukommen, erscheint es auch durchaus sachgerecht, den Begriff der „objektiven Unabwendbarkeit“ aus der Situation bzw. Sicht eines Unternehmers heraus zu bestimmen. Es ist zwar einzuräumen, dass Entstehungsgeschichte des § 7 I VOB/B (wegen des nachträglichen Einfügens des Wortes „objektiv“) sowie die Aufzählung von Ereignissen, die ausschließlich unabhängig von der konkreten Situation des Auftragnehmers auf der Baustelle bestehen („Höhere Gewalt, Krieg und Aufruhr“) auf den ersten Blick für eine Bestimmung des Begriffes „objektiv“ unabhängig von der Situation des betroffenen Auftragnehmers sprechen.

Gleichwohl ist ein solches Verständnis des § 7 I VOB/B nicht zwingend, wie der BGH in der hier besprochenen Entscheidung nun auch andeutet. So spricht etwa die Existenz der Regelung des § 4 V VOB/B dafür, bei § 7 I VOB/B die objektive Unabwendbarkeit vor dem Hintergrund der konkreten Schutz- und Einwirkungsmöglichkeit des Unternehmers zu bestimmen. Käme es nämlich für den Tatbestand des § 7 I VOB/B allein darauf an, dass ein „von außen wirkendes“ unabwendbares Ereignis vorliegt, liefe die Regelung des § 4 V VOB/B weitestgehend leer. Der Werkunternehmer würde dann – auch wenn er seinen Schutzpflichten aus § 4 V VOB/B vorbildlich nachgekommen ist – wegen der völlig unterschiedlichen Abwendungsmaßstäbe stets auch für ihn konkret unabwendbare „Beschädigungen und Diebstahl“ auf Grund der allgemeinen Gefahrtragungsregel des § 7 I VOB/B haften.

__________________________________________________________________________________________________________________________________________________

1 Thode, ZfBR 1999, 116. Dies ergibt sich beim VOB/B-Vertrag aus den gesetzlichen Normen, nicht unmittelbar aus § 7 VOB/B, dessen Regelungsgehalt sich auf die Vergütungsgefahr beschränkt, vgl. BGH, NJW 1977, 1966 (1967).

2 BGH, NJW 1977, 1966 (1967).

3 BGH, NZBau 2005, 453 = NJW-RR 2005, 1179.

4 BGH, NZBau 2005, 453 = NJW-RR 2005, 1179.

5 LG Stuttgart, Urt. v. 25. 11. 2010 – 10 O 23/07.

6 OLG Stuttgart, Urt. v. 26. 7. 2011 – 10 U 4/11, BeckRS 2012, 08096.

7 BGHZ 136, 303 = NJW 1997, 3018 = NJW-RR 1997, 1450 L („Schürmann-Bau“, in Fortführung von BGH, BGHZ 61, 144 [145] = NJW 1973, 1698 = VersR 1962, 159 [160]).

8 Die Vorschrift des § 645 I 1 BGB ist nach der BGH-Rechtsprechung auch in einem VOB/B-Vertrag anwendbar. Die VOB/B enthält insoweit keine abweichende Sonderregel, da die §§ 7 I, 12 VI VOB/B nur eine Änderung des in § 644 I 1 BGB normierten Prinzips der Gefahrtragung regeln; so ausdrücklich BGHZ 136, 303 = NJW 1997, 3018 = NJW-RR 1997, 1450 L („Schürmann-Bau“).

9 Lederer, in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teil B, 3. Aufl. (2010), § 7 Rdnrn. 62 ff. m. w. Nachw.

Rechtsanwälte Alexander Leidig und Daniel Hürter: Zugleich Besprechung von BGH, Urt. v. 8. 3. 2012 – VII ZR 177/11, NZBau 2012, 432 = NJW 2012, 2105. – Die Autoren sind im Bonner Büro der Sozietät Redeker Sellner Dahs tätig.